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Preisinger: Entwicklungschanchen des Tourismus in TRNC


6. Der ökonomische Stellenwert des Tourismus

6.1 Quantitative und Qualitative Entwicklung der Fremdenverkehrsbranche

Die Tourismusindustrie ist der größte Wirtschaftszweig der Welt. "Very few people are aware of the fact that tourism is the largest business in the world with annual receipts for both domestic and international tourism exceeding US $ 2 trillion which represents about 12 percent of the world's economy (MIECZKOWSKI 1990, S.1). HOPFENBECK (1993) ermittelt ähnliche Zahlen. Er spricht von 5 Billionen Mark Umsatz mit einer Investitionsleistung (1992) von 422 Milliarden US $. Dies entspricht in etwa 6,7 % der getätigten Weltinvestition. Insgesamt werden 127 Mio. Beschäftigte innerhalb dieser Branche registriert. Da Europa weiterhin das Tourismusweltzentrum bleiben wird, sollen hier auch einige relevante Daten aufgeführt werden: Der Fremdenverkehr entsprach rund 5,5 % des Bruttoinlandprodukts (Stand 1987) innerhalb der Zwölfergemeinschaft und 8 % des privaten Verbrauchs mit einer Beschäftigtenzahl von 6 Millionen. Die Mittelmeerregion liegt mit 35 % der internationalen Touristenankünfte dabei weltweit an der Spitze. Laut WTO Schätzung werden es im Jahre 2025 ca. 360-760 Mio. Touristen sein. Die Fachwelt und voran der WTTC prognostizieren einen anhaltenden positiven Entwicklungstrend, der bis ins Jahr 2000 bei einer ca. 5 %igen Wachstumsrate liegen wird, wobei Verschiebungen zugunsten asiatischer Märkte zu erwarten sind (WTTC 1993, S.22).

Ein wichtiger Aspekt ist die Tatsache, daß Freizeitgüter Zeit beanspruchen und im umgekehrten Fall, daß gestiegene Freizeit Nachfrage nach Freizeitgütern generiert. Vor dem Hintergrund dieses Faktums hat "sich die Freizeitindustrie in der gesamten westlichen Welt als eine widerstandsfähige Wachstumsindustrie erwiesen" (OPASCHOWSKI 1993, S.23). OPASCHOWSKI führt den Begriff der "weißen" Industrie ein, wobei "weiß" synonym für reinen Genuß und Erlebnis steht. Da die Suche nach "Erlebnis" in den letzten Jahren gestiegen ist, verwundert es auch nicht, daß sich gerade diese Branche gut vermarkten läßt. Reiselust kann durch gezielte Marketingstrategien sogar geweckt werden (OPASCHOWSKI 1989, S. 43).

Folgende Wirtschaftszweige konnten neben den direkt am Freizeit- und Fremdenverkehr partizipierenden Marktteilnehmern, wie den Reiseveranstaltern und den Reisebüros, einen Boom verzeichnen. Zu diesen Branchen zählen u.a. die Campingindustrie, die Sportartikelindustrie (Surfbretter, Mountainbikes, Golfausrüstungen) und die Fotoindustrie. Welchen Stellenwert die Urlaubsreise innerhalb der Freizeitindustrie hat, zeigt sich daran, daß am "Urlaub zu allerletzt gespart wird".

Abb. 18: Freizeit auf Wachstumskurs
Abbildung

Quelle: OPASCHOWSKI 1989, S.45

Der Fremdenverkehrsbranche und ihrer Weiterentwicklung sind durch die folgenden Komponenten Wachstumsgrenzen gesetzt. Die Nettoreiseintensität stagniert, (KIRSTGES 1992b, S. 34; FREYER 1991, S.27), die teilweise auf eine Art Reisemüdigkeit zurückzuführen ist oder auch zu einer Verlagerung der Freizeitaktivitäten geführt hat. Die Verschiebung von der Urlaubsreise hin zum Naherholungsverkehr wird teils durch die wirtschaftliche Rezession bedingt, teils entspricht es dem Trend. Der Grenzenlosigkeit des Reisens sind des weiteren aus umweltpolitischer Sicht deutliche Grenzen gesetzt. Hinzu kommt die steigende Zahl politischer Krisengebiete wie das ehemalige Jugoslawien, Ceylon oder der Yemen, die der Entwicklung des Fremdenverkehrs direkt Grenzen setzen oder aber Länder wie die Türkei, wo gezielt Touristen zum Opfer terroristischer Anschläge zur Durchsetzung politischer Ziele werden. Trotz Rezession und Stagnation der Nettoreiseintensität wird "das in Reisen gemessene Marktvolumen jedoch bis zur Jahrtausendwende noch leicht zunehmen" (KIRSTGES 1992b, S.36). Von weniger Personen werden, quantitativ gemessen, mehr Reisen durchgeführt (vgl. Kap. 2.3). Dieser Tatbestand ist auf den Boom bei den Kurzreisen zurückzuführen. Laut OECD Bericht haben die Kurzreisen bereits einen Anteil von 20 % gemessen an allen Reisen. Gemäß des fünften EG-Aktionsprogramms "Für Umwelt und Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung" aus dem Jahre 1992, werden vorallem Küstengebiete, Bergregionen und Gebiete mit besonders hoher Umweltqualität von Kurzurlaubern frequentiert (HOPFENBECK 1993, S. 35f.).

Betrachtet man nur den rein ökonomischen Wert des Tourismus, gehen viele wichtige Informationen und Teilaspekte bei der Bewertung des Tourismus verloren. So muß man neben der einseitig monetären Betrachtungsweise auch die anderen Bewertungsmaßstäbe, wie die sozio-kulturellen Aspekte (Lebensqualität, Kultureinfluß, Völkerverständigung) oder die individuelle Beurteilung (persönlicher Lustgewinn, körperliche und geistige Erholung) in Betracht ziehen (FREYER 1991, S.316). In Zukunft sind länderübergreifende Konzepte und interdisziplinäre Zusammenarbeit gefordert, um eine klare Abgrenzung für den Tourismusbereich und eine bessere Erfassung der wirtschaftlichen, sozio-kulturellen aber auch individuellen Kosten-Nutzenanalyse zu ermöglichen.

Ähnlich wie bei den Schwierigkeiten der definitorischen Abgrenzung des Fremdenverkehrs, treten nämlich bei der Bestimmung der fremdenverkehrsbedingten Wachstumseffekte dieser Branche Probleme auf. KRUSNIK (1978) diskutiert die Vor- und Nachteile der verschiedenen Indizes, die als wachstumsrelevante Indikatoren gelten. Dabei lehnt er das BIP als Indikator ab, da von Ausländern (hier: in Nordzypern) erwirtschaftete Leistungen ebenfalls mit in die Berechnung eingehen. Wirtschaftliches Wachstum läßt sich besser an der realen (preisbereinigten) Zunahme des BSP pro Kopf ablesen. FREYER (1991) gelangt ebenfalls zu der Überzeugung, daß die Bedeutung der Tourismusindustrie sich am besten durch ihren Beitrag zum Bruttosozialprodukt einer Gesellschaft messen läßt. Besser läßt sich jedoch die ökonomische Bedeutung an der Nettowertschöpfung (Nettoinlandprodukt zu Faktorkosten) messen. Die Nettowertschöpfung sagt aus, wieviel Einkommen absolut aus den getätigten Umsätzen (Produktionswert) entsteht (WIRTSCHAFTSFAKTOR TOURISMUS 1989, S.12).

Problematisch bei der Untersuchung von Fremdenverkehrsstatistiken, zur genauen Wertbestimmung als Wirtschaftsfaktor, ist die fehlende Abgrenzung und einheitliche Erfassung des Tourismussektors in der amtlichen Statistik. "Die touristische Leistungserstellung wird in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen und Sektoren statistisch erfaßt" (FREYER 1993, S.332). Als Beispiel kann hier der Transportbereich angeführt werden. Eine Ausweisung des touristischen Verkehrs fehlt und wird nur unter dem Gesamtverkehr subsumiert. Für FREYER (1993) sind die gravierendsten Probleme, die touristische Statistik betreffend, die fehlende, klare Abgrenzung, die Uneinheitlichkeit, die Nichterfassung und die bewußte Fälschung (FREYER 1993, S. 319). Der Versuch der OECD, mit dem "Manual on Tourism Economic Account" die Tourismusausgaben als Beitrag zum Bruttosozialprodukt besser zu erfassen, oder die Arbeit der WTO an einer Vereinheitlichung von Begriffsbestimmungen und an der Entwicklung standardisierter Erhebungs- und Aufbereitungskonzepte, kann hier positiv angeführt werden.

6.2 Probleme bei der Auswertung des statistischen Materials von Nordzypern (Quellenkritik)

Bei der Auswertung des statistischen Materials von Nordzypern treten große Probleme auf. HAHN/WELLENREUTHER (1992) deuten die Unerfahrenheit nordzyprischer Behörden im korrekten Umgang mit statistischem Material als eine Fehlerquelle. Als Beispiel kann hier die inkorrekte Erfassung der touristischen Ankünfte angeführt werden (vgl. Kap. 3.2.2.2). Es fällt auf, daß wichtige Daten fehlen, die entweder nicht erhoben oder nicht veröffentlicht werden (Haushaltsgrößen, Einkommensklassen). Die Statistiken sind z.T. fehlerhaft (s. Anhang 11), sie unterscheiden sich in ihrem Wert für denselben Sachverhalt je nach verwendeter Quelle und geben keine Auskunft über definitorische Abgrenzungskriterien, z.B. welche Berufe die Tourismussparte umfaßt oder wie sich das BSP und das BIP zusammensetzen. Hinzu kommt die bewußte Verschleierung demographischer Tatsachen, wie etwa die in den ersten Jahren nach 1974 bewußt geförderte Besiedelungspolitik durch Festlandstürken. Die rasche Bevölkerungszunahme seit Mitte der 70er Jahre und die Bevölkerungszusammensetzung gelten als ein Punkt, warum es zu keiner Einigung mit dem Süden der Insel kommt.

Bei der Analyse des fremdenverkehrsrelevanten Materials muß beachtet werden, daß Nordzypern den Tourismus neben dem Hochschulsektor als Promotor des wirtschaftlichen Wachstums propagiert, als die "Vorzeigebranche" des Landes. Nachweislich kommt es zu Verzerrungen bzw. Verschönerungen der Daten auf betriebswirtschaftlicher wie volkswirtschaftlicher Ebene und zu hohen Subventionen von staatlicher Seite (WELLENREUTHER 1995), so daß eine exakte Interpretation nicht vorgenommen und die Frage, ob der Tourismus Wachstumseffekte induziert, nur tendenziell beantwortet werden kann. Hinzu kommt, daß viele Gewinne ins Ausland transferiert werden und somit der Volkswirtschaft keinen Nutzen bringen. Dies schlägt sich auch in der geringenen Investionsbereitschaft (s. Kapitel 6.4.2) nieder.

Ein weiteres Problem stellt die Zunahme von Arbeitnehmern aus der Türkei oder aus anderen Staaten (meist Dritte-Welt-Staaten oder GUS-Staaten) dar. Innerhalb der Statistiken wird keine Differenzierung nach ethnisch-rassischen und kulturellen Merkmalen vorgenommen, d.h. Festlandstürken werden nicht separat ausgewiesen. In Anlehnung an WELLENREUTHER (1995) kann man davon ausgehen, daß es sich hierbei überwiegend um illegale Arbeitsimmigranten handelt. Nordzyprische Behörden verweigern jedoch jegliche Aussagen, außerdem liegen gefälschte Ein-bzw. Auswanderungsstatistiken vor, so daß eine quantitative Erfassung unmöglich wird. Die Wertschöpfung des Tourismus wird ebenfalls verfälscht, da illegale Arbeitsimmigranten meist untertariflich bezahlt werden.

6.3 Direkte Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf die
Fremdenverkehrsregion

In Anlehnung an KULINAT/STEINECKE (1984) werden mögliche ökonomische und soziale Wirkungen des Fremdenverkehrs wie folgt zusammengefaßt:

Abb. 19: Ökonomische und soziale Wirkungen des Fremdenverkehrs

Ökonomische WirkungenSoziale Wirkungen
1. Zunahme der Erwerbstätigenzahl im tertiären Sektor

2. Entstehen neuer Berufsgruppen

3. Erhöhung der Einkommen

4. Zuzug von Ortsfremden und saisonalen Arbeitskräften

5. Hohe Mobilitätsraten

6. Monostrukturierung (Konjunkturanfälligkeit und eingeschränkte Berufswahl)

1. Veränderung sozialer Netzwerke durch fremde Arbeitskräfte

2. Anonymität von Arbeitsimmigranten

3. Wandel tradierter Wertesysteme, Kriminalität, Prostitution

4. Saisonalität verursacht Arbeitsplatzängste

5. Verteuerung des Baulandes

6. Sinkende Wohnqualität (Verkehrsbelastung)

7. Akkulturationsprozesse

Quelle: KULINAT/STEINECKE 1984, S. 172f; eigene Darstellung

In den folgenden Kapiteln werden die ökonomischen Auswirkungen näher untersucht, wohingegen über die sozialen Wirkungen aufgrund des Fehlens soziodemographischer Daten in den offiziellen Statistiken keine Aussagen gemacht werden können.

6.4 Fremdenverkehrsbedingte Wachstums- und Struktureffekte unterentwickelter Volkswirtschaften

Wenn ein Land, wie in diesem Fall Nordzypern, verstärkt den Tourismus als Wirtschaftsfaktor fördert, gilt es zu untersuchen, ob und inwieweit diese Förderung sinnvoll ist, oder ob und in welchen alternativen Wirtschaftssektoren ebenfalls Wachstumseffekte erzielt werden können.

Die im folgenden abgeleiteten theoretischen Überlegungen über die Auswirkungen des Fremdenverkehrs in unterentwickelten Volkswirtschaften sollen am Beispiel Nordzyperns konkretisiert werden. In Anlehnung an KRUSNIK (1978) scheint es in diesem Zusammenhang von Bedeutung, zu untersuchen, inwieweit Fremdenverkehr Wachstum induzieren kann, d.h. inwieweit er einen erheblichen Beitrag zum BSP eines Landes leistet und inwieweit er Strukturveränderungen innerhalb einer Volkswirtschaft auslösen kann. "Die Frage, ob der internationale Fremdenverkehr wachstumsrelevant ist... läßt sich daran ermessen, inwieweit er die Zahlungsbilanz und damit die in Devisen ausgeführten Transaktionen...mit dem Ausland positiv beeinflußt, inwieweit er Beschäftigungseffekte auslöst und damit Einkommen generiert..." (KRUSNIK 1978, S.106). BUCHHEIM (1994) geht davon aus, daß Wirtschaftswachstum nur durch entsprechende Strukturveränderungen innerhalb einer Volkswirtschaft möglich ist, wobei die drei Komponenten des Strukturwandels, die Änderung der Beschäftigungs- und Produktionsstruktur sowie die Exportzusammensetzung sind. Wichtig ist auch die Verwendungsstruktur des Sozialproduktes, d.h. in welchem Maße die Investitionsquote steigt. Im speziellen Fall sollen die Beschäftigungseffekte und Deviseneffekte hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Entwicklung betrachtet werden.

6.4.1. Beschäftigtenstruktur und Beschäftigungseffekte

"Ein Beurteilungskriterium für die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Reiseverkehrs ist sein Anteil bzw. Beitrag zur Beschäftigtensituation der Volkswirtschaft" (FREYER 1993, S. 340). Welche Bedeutung in dieser Hinsicht dem Fremdenverkehr zukommt, zeigt der Vergleich mit anderen Wirtschaftsbranchen. So waren in der Bundesrepublik Deutschland (Stand 1991) im Fremdenverkehrssektor etwa genauso viele Beschäftigte zu verzeichnen wie im Stahl-, Maschinen- und Fahrzeugbau. Quantitativ ausgedrückt bedeutet dies eine Zahl von ca. 1,6-2,3 Mio. Arbeitsplätzen (FREYER 1993, S.343). Nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Beschäftigtenstruktur Nordzyperns im zeitlichen Vergleich.

Tab. 9: Beschäftigtenstruktur Nordzyperns 1977,1987 und 1992 (absolut und in %)

Sektoren
1977
1987
1992
Primärer Sektor23694 (45,0) 20550 (31,0) 19427 (26,2)
Landwirtschaft
Bergbau u. Steinb.
23694 (45,0)
K.A.
19780 (29,8)
770 (1,2)
18469 (24,9)
958 (1,3)
Sekundärer Sektor8846 (16,8) 12852 (19,4) 16281 (22,1)
Industrie

Bauwesen

Elektr.,Gas,Wasser

5689 (10,8)

3159 (6,0)

K.A.

4962 (7,6)

6750 (10,1)

1140 (1,7)

5991 (8,1)

9070 (12,3)

1220 (1,7)

Tertiärer Sektor20114 (38,2) 32810 (49,6) 38329 (51,7)
Tourism. u. Handel

Handel
Tourismus

Öffentlicher Dienst

Sonst. Dienstl.

4634 (8,8)

1)
1)

1)

15480 (29,4)

6015 (9,1)

4651 (7,1)
1364 (2,0)

15095 (22,8)

11700 (17,7)

7473 (10,1)

5172 (7,0)
2301 (3,0)

16211 (21,9)

14645 (19,7)

Gesamt52654 (100) 66212 (100) 74037 (100)

Quelle: HAHN 1982, S.217; STATE PLANNING ORGANIZATION 1993, S.7

1) Für 1977 liegen keine getrennten Zahlen für die Bereiche Tourismus und Handel vor.

Unter der Rubrik "Öffentlicher Dienst" sind alle Angestellten in staatseigenen Betrieben und alle Beamten subsumiert.

Wie aus Tabelle 9 ersichtlich wird, ist die Erwerbstätigenzahl im tertiären Sektor von 20114 (1977) auf 38329 (1992) gestiegen. Betrachtet man jedoch die Anteilswerte innerhalb des Teriären Sektors, so fällt auf, daß die im öffentlichen Dienst Beschäftigten mit 42,3 % den größten Anteil einnehmen, wohingegen der Tourismus nur 6 % ausmacht. Im Falle Nordzyperns kann man nicht davon ausgehen, daß der Fremdenverkehr Einfluß auf die Zunahme der Erwerbstätigen im Tertiären Sektor hat, also keine Impulse für Strukturveränderungen gibt.

Bei der Analyse der Beschäftigteneffekte ist es wichtig, nach den primär dieser Branche zuzuordnenden Arbeitsplätzen und den sekundären Arbeitsplätzen zu unterscheiden. Ferner verweist FREYER (1993) auf den Multiplikatoreffekt des Tourismus, der für die Bundesrepublik Deutschland mit 0,5-1 Mio. Arbeitsplätzen zu veranschlagen ist. Als typische, der Tourismusbranche zuzuordnende Arbeitsplätze gelten jene in der Hotellerie, in der Gastronomie, in den Reisebüros, bei den Reiseveranstaltern, im Kur- und Fremdenverkehr. Außerdem zählen dazu all jene, die im touristischen Transportwesen beschäftigt sind sowie Reiseleiter und Animateure. Neben den direkt im Fremdenverkehr Beschäftigten gibt es zahlreiche Berufssparten, die indirekt mit dieser Branche in Zusammenhang stehen. Hierzu zählen Dienstleistungsberufe wie Versicherungen (Reiseversicherungen), Banken (Devisen- und Sortengeschäfte), Reisejournalisten, Gepäckträger aber auch Angestellte der Dienstleistungsbetriebe vor Ort, wie etwa der Bäcker, das Souveniergeschäft oder Zahnärzte. Auf Abgrenzungsprobleme bei der Erfassung der Beschäftigten stößt man immer wieder. Denn eine klare Abgrenzung von "typischen touristischen Berufsgruppen", ist nur für wenige Gruppen in der amtlichen Arbeitsmarktstatistik gegeben (s. Anhang 12).

Inwieweit die Tatsache, daß der Tourismus neue Arbeitsplätze schafft, als positiv bewertet werden kann, hängt auch immer von den Investitionskosten für diese Arbeitsplätze ab, d.h. wenn sie niedriger sind als in den anderen Wirtschaftssektoren, scheint die Investition sinnvoll. Folgende Faktoren müssen aber noch in die Gesamtbeurteilung eingehen: Bedingt durch die starke Saisonabhängigkeit der im Fremdenverkehr Beschäftigten kommt es vorallem in der Hauptsaison zur Abwanderung von Arbeitskräften aus anderen Wirtschaftsbereichen, wie etwa aus der Landwirtschaft oder zur Anwerbung ausländischer saisonaler Arbeitskräfte. Die Nebensaison induziert oft hohe Arbeitslosenquoten. In Anlehnung an VOSS (1984) muß die Wohlfahrt der Gesamtbevölkerung in Betracht gezogen werden, d.h. sie muß steigen, wenn dem Fremdenverkehr ein impulsgebendes Moment zugesprochen werden soll. VOSS (1984) verweist des weiteren auf die Bedeutung der absoluten Werte der Löhne als Beschäftigungswirkung des Tourismus. "Wie hoch die Einkommen sind, die den im Tourismus beschäftigten Arbeitskräften zufließen, läßt sich aus Gewinn- und Verlustrechnung der einzelnen Betriebe...ablesen" (VOSS 1984, S.188). Die berufliche Qualifikation und die gestreute Einkommensverteilung spielen für das Wachstum eine große Rolle. Wenn die führenden und einkommensstarken Positionen von ausländischen Arbeitnehmern besetzt sind, bleiben für die einheimischen Arbeitskräfte nur noch die niedrigeren Lohngruppen übrig, wodurch ihr Konsumverhalten stark eingeschränkt wird. Den Ausbildungskosten muß in diesem Zusammenhang ebenfalls Beachtung geschenkt werden. Einer teuren, oft vom Staat geförderten Ausbildung in Hotelfachschulen oder an Fachhochschulen bzw. Universitäten steht auch hier wieder das Problem der Saisonalität gegenüber. Der Staat muß nämlich zusätzlich während Zeiten von Arbeitslosigkeit Unterstützung leisten.

Bei der Erfassung der indirekten Beschäftigungseffekte treten Probleme hinsichtlich der Quantifizierbarkeit auf. KRUSNIK (1978) geht davon aus, daß wesentliche indirekte Beschäftigungseffekte dort zu erwarten sind, wo entsprechende Betriebe erst aufgebaut werden müssen. Dies ist hauptsächlich bei kleinen, durch Monokulturen gekennzeichneten Volkswirtschaften der Fall (KRUSNIK 1978, S.173). Bei der Ermittlung der direkt Beschäftigten kann man zwei unterschiedliche Methoden anwenden. Zum einen kann man die unmittelbar im Fremdenverkehrsbereich tätigen Arbeitskräfte in bezug zur Gesamtbeschäftigtenzahl eines Landes setzen oder aber man stellt Vergleiche mit anderen Wirtschaftssektoren an. Abschließend kann man davon ausgehen, daß eine große Anzahl direkt im Tourismus Beschäftigter für eine Volkswirtschaft bedeutet, das der Tourismus als Entwicklungspromoter gilt (KRUSNIK 1978, S. 160f; VOSS 1984, S.186f.).

Die Beschäftigtenzahlen für Nordzypern lassen sich anhand des veröffentlichen Datenmaterials nicht exakt bestimmen. Während die staatliche Planungsbehörde für 1992 2301 Beschäftigte ermittelt hat (Prime Ministry State Planning Organization 1992, S.7) errechnete das Ministerium für Tourismus eine Zahl von 4089 Gesamtbeschäftigten, wovon 2328 direkt dem Hotelgewerbe, 1466 der Gastronomie und 295 den Reiseagenturen zuzuschreiben sind. Bei MARTIN (1993) stößt man ebenfalls auf abweichende Zahlen. Neben Zuordnungsschwierigkeiten wurde auch die Saisonkomponente außer acht gelassen. Zur Ermittlung der Beschäftigtenzahlen wurde deshalb eine Primärerhebung durchgeführt (April 1994), um anschließend die Beschäftigungseffekte (Beschäftigte/Bett) zu bestimmen.

In Anlehnung an HÖFELS (1990) wurden die Beschäftigungseffekte folgendermaßen quantifiziert. Eine vom Tourismusministerium zusammengestellte Übersicht gibt Auskunft über die Beherbergungsbetriebe und deren Bettenkapazität. In einer Gesamterhebung aller Hotels wurden die Beschäftigtenzahlen (für die Hoch- und Nebensaison) ermittelt. Aufgrund systematischer Ausfälle, d.h. in der Kategorie der 1-Stern Unterkünfte wurden nur zwei exemplarisch befragt sowie Auskunftsverweigerungen, kann die ermittelte Zahl ebenfalls nur als Schätzwert verstanden werden. Die Saisonproblematik betreffend, wurde der Mittelwert zwischen Angestellten während der Hoch- bzw. Nebensaison gebildet. Zur Ermittlung des Beschäftigungskoeffizienten wird die Bettenanzahl durch die Anzahl der Beschäftigten in der jeweiligen Kategorie dividiert.

Tab. 10: Beschäftigungseffekte der verschiedenen Beherbergungs- arten

Kategorie
Bettenanzahl
Beschäftigte
Beschäftigungs-

koeffizient
5 Sterne
504
347
0,69
4 Sterne
2024
951
0,47
3 Sterne
2534
962
0,38
2 Sterne
1383
318
0,23
1 Stern
572
102
0,18
Gesamt
7017
2680
0,39

Quelle: TURIZM PLANLAMA DAIRESI 1994, S. 8; eigene Berechnungen

Die Gesamtbeschäftigtenzahl liegt über den amtlichen Zahlen. Da es in Nordzypern durchaus üblich ist, daß eine Person zwei verschiedenen Tätigkeiten innerhalb des Fremdenverkehrs nachgeht, wurden sie u.U. bei der eigenen Erhebung doppelt erfaßt. Außerdem wurde die Erhebung 1994 durchgeführt.

Legt man den folgenden Berechnungen den Wert von 2301 Beschäftigten zugrunde, so ergibt sich ein Anteil von 3 % im Verhältnis zur Gesamtbeschäftigtenzahl von 74037 (Stand 1992). Addiert man die 1466 Angestellten der Gastronomie sowie der Reiseagenturen hinzu, ergibt sich eine Gesamtzahl von 4062, einem Anteil von 5,5 % entsprechend. Bei der Bewertung müssen die indirekten Beschäftigungseffekte ebenfalls berücksichtigt werden. Da es keine Hinweise in der amtlichen Statistik gibt, kann dieser Wert nur tendenziell quantifiziert werden. Zum einen weisen die hohen Beschäftigtenzahlen im Baugewerbe auf einen engen Zusammenhang mit der Fremdenverkehrsbranche hin, zum anderen wurde mit Hilfe einer Kartierung des touristischen Zentrums von Girne versucht, die mit dem Tourismus zusammenhängenden Dienstleistungen aufzuzeigen (s. Karte 6). Zuzüglich der sekundären Beschäftigungseffekte, erhöht sich der Anteil der Beschäftigten, bleibt dennoch im Verhältnis sehr gering und steht in keinem Verhältnis zu den offiziellen Statements, die den Tourismus als die wichtigste Branche deklarieren.

Bezüglich der Einkommenswerte können ebenfalls keine exakten Angaben gemacht werden, da Einkommensklassen in der amtlichen Statistik fehlen und kein Fremdenverkehrsbetrieb Auskunft über die Gewinn- und Verlustrechnung geben wollte. Da aber gemäß eigener Beobachtungen nur wenige Zyperntürken in leitenden Positionen anzutreffen sind und das Einkommen der niedrigeren Lohngruppen nur zwischen 2-3 Mio. TL liegt (ca. 200-300 DM, eigene Ermittlung April 1994), müssen das Konsumverhalten und somit der Multiplikatoreffekt als gering eingestuft werden. Dieser Tabestand wird durch den geringen Investitionsgrad von nur 3,7 % (Stand 1992) bestätigt. Aufgrund des geringen Einkommens sehen sich viele Angestellte gezwungen, eine Nebentätigkeit auszuüben. Es ist üblich, daß Saisonarbeiter, vorallem illegale Arbeitsimmigranten aus anderen Ländern, z.B. aus Pakistan, Rußland, Ägypten oder dem Irak, im Fremdenverkehr tätig sind und meist für noch geringere Löhne arbeiten.

Hinsichtlich der Beurteilung, ob der Tourismus in Nordzypern als kapital- oder arbeitsintensiver Sektor anzusehen ist, können aufgrund der schlechten Datenbasis keine genauen Angaben gemacht werden. Sicher ist, daß der Ausbau und Erhalt von touristischer Infrastruktur (Hotels, Flughäfen, nötige Güterimporte) hohe Investitionen erfordert. "Vergleiche dieser Investitionen pro neu geschaffenen Arbeitsplatz weisen den Tourismus als kapitalintensiver aus als beispielsweise Investitionen in der Landwirtschaft. Vergleicht man sie andererseits mit neugeschaffenen Arbeitsplätzen in der Industrie, erweisen sich touristische Arbeitsplätze als weitaus weniger kapitalintensiv" (FREYER 1993, S. 346). Tourismus hat den Vorteil, daß er aufgrund der allgemein niedrigen Qualität der Arbeitsplätze viele Ungelernte bzw. Angelernte beschäftigt, schnell Arbeitsplätze schaffen kann. Die Qualität ist oft so gering, daß die Intra-Generations-Mobilität (Berufs- und Positionsveränderungen innerhalb des individuellen Lebenszyklus) sehr eingeschränkt ist (STEINECKE 1980, S. 264). Hinzu kommen die hohen saisonbedingten Arbeitslosenquoten. Aus den nordzypriotischen Statistiken gehen keine genauen Angaben über die Höhe der Arbeitslosenzahlen hervor. Die Unterschiede zwischen den Beschäftigtenzahlen in der Hoch- bzw. Nebensaison deuten aber auf eine hohe saisonale Arbeitslosigkeit hin. So konnte für das Salamis Hotel eine Differenz von 150 Personen in Erfahrung gebracht werden.

Wie aus Tabelle 10 ersichtlich wird, können die Hotels der höheren Kategorien als arbeitsintensiver eingestuft werden. Während der Beschäftigungskoeffizient in den 5­Sterne-Hotels bei 0,69 liegt, beträgt er bei den 1-Stern-Hotels nur 0,18. Aufgrund des höheren Anspruches der Touristen werden in den 5­Sterne-Hotels pro Bett mehr Menschen beschäftigt. Bei den 1-Stern-Hotels muß allerdings berücksichtigt werden, daß mithelfende Familienmitglieder, die typisch für diese Kategorie sind, nicht als Angestellte deklariert werden und somit der Beschäftigungskoeffizient verzerrt wird.

6.4.3 Deviseneffekte

Der Tourismus gilt im allgemeinen als Devisenimporteur und trägt zum Ausgleich der Zahlungsbilanzen bei. Wichtig in diesem Fall ist, die Deviseneinnahmen und die Devisenausgaben zu erfassen. In die Analyse solcher Devisenimport- und -exportdaten müssen die Nettodeviseneinnahmen, also abzüglich der erbrachten Vorleistungen, wie Importe von Nahrungsmitteln oder Investitionsgütern, eingehen (s. ANHANG 13). Bei der Ermittlung von Nettodeviseneinnahmen stößt man auf zahlreiche Probleme, zum einen aufgrund mangelhafter Statistiken, zum anderen aufgrund komplizierter Kostenzuordnungen einzelner Fremdenverkehrsbetriebe. Im Rahmen dieser Arbeit muß auf eine detaillierte Übersicht verzichtet werden, wobei aber einige, allgemeine Überlegungen nicht fehlen dürfen. Die Nettodeviseneinnahmen hängen von den Investitionskosten und den Importkosten ab. Bei den Investitionskosten werden solche Kosten subsumiert, die den infrastrukturellen Aufbau einer Tourismusindustrie ermöglichen. Dabei kann man davon ausgehen, daß bei einer leistungsintensiven einheimischen Industrie, die Kosten minimiert werden können.

Die Importkosten, wie z.B. für Nahrungsmittel, sind einerseits von der Effizienz der Landwirtschaft abhängig, zum anderen von der Nachfragestruktur der Touristen. Es ist zu überlegen, welche Art von Tourismus (Billig- versus Luxustourismus) förderungswürdig ist, da beim Luxustourismus den höheren Einnahmen auch ein gesteigerter Importbedarf an Gütern gegenübersteht. Wenn die Förderung der Fremdenverkehrsindustrie als primäres wirtschaftspolitisches Ziel deklariert wird, muß der Staat versuchen, mit Hilfe seiner Steuer- und Zollpolitik, diese Vorleistungen zu reduzieren (KRUSNIK 1978, S. 128f.). Außer den Vorabkosten oder den laufenden Kosten sollten auch die Folgekosten, nämlich die ökologischen Belastungen, in die Kosten-Nutzen-Analyse eingehen.

Die Deviseneinnahmen aus dem Tourismus beliefen sich 1992 auf 171,1 Mio. US $ (s. Anhang 14). Für die Interpretation der Zahl müßten die nötigen Vorabinvestitionen und die für den laufenden Betrieb notwendigen Importkosten subtrahiert werden. Eine solche Aufschlüsselung fehlt, so daß auch in diesem Fall nur eine tendenzielle Bewertung erfolgen kann. Da Nordzypern insgesamt stark importabhängig ist (371,4 Mio US $, 1992), wobei überwiegend verarbeitete Güter importiert werden müssen, kann man davon ausgehen, daß die Tourismusindustrie und hierbei die Hotels der gehobeneren Kategorien, einen großen Anteil an den nötigen Importen ausmachen. Das Chateau Lambousa (Celebrity Gruppe) verfügt über eine eigene kleine Farm, die alle Gäste mit eigenen frischen Produkten versorgen kann. Inwieweit dieses importsubstituierende Wirkung hat, ist nicht nachvollziehbar, jedoch positiv anzumerken.

Zusammenfassend kann man sagen, daß die Deviseneinnahmen aus dem Tourismus zum Ausgleich der Handelsbilanz beitragen. Über die exakte Höhe lassen sich jedoch keine genauen Aussagen machen. Mit Sicherheit aber trägt der Tourismus weit weniger zum Ausgleich bei, als von den nordzyprischen Behörden verlautbart bzw. gewünscht wird.

6.5 Bewertung der fremdenverkehrsbedingten Wachstums- und Struktureffekte

Gerade in monostrukturierten Volkswirtschaften und in Kleinstaaten, wozu auch die meisten insularen Staaten zählen, wird der Fremdenverkehr als Sprungbrett für wirtschaftliches Wachstum gesehen. Er gilt als Devisenbringer, als Impulsgeber zur Schaffung neuer Arbeitskräfte und als Mittel zum Ausgleich regionaler Unterschiede. Wichtig ist die Tatsache, daß die betroffenen Staaten im Bereich des Fremdenverkehrs nicht in Konkurrenz mit den Industrieländern, das technische Know-How betreffend, treten und keine Importbeschränkungen vorliegen. "Der Fremdenverkehr als Exportindustrie stellt eine Besonderheit insofern dar, als die Exportleistungen im Land erbracht und gleichzeitig konsumiert werden" (KRUSNIK 1978, S.56). WILKINSON (1989) vertritt ebenfalls die Auffassung, daß in insularen Kleinstaaten der Tourismus als Einnahmequelle dominiert. Im Gegensatz zum primären Sektor ist der Tourismus weniger von weltkonjunkturellen Schwankungen aber dafür weit mehr von weltpolitischen Lagen abhängig. Manche Autoren gehen soweit, zu sagen, daß der Tourismus weniger krisenanfällig und für die Diversifizierung der Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sei. "...one has to emphasize its dynamism and resilience to crisis...Tourism proved to function as a good instrument of economic diversification for many countries, especially the LDCs" (MIECZKOWSKI 1990, S.1). Ob aber der Fremdenverkehr wirklich als die förderungswürdige Branche innerhalb einer Volkswirtschaft gelten soll und inwieweit sie krisenresistent ist, muß im einzelnen und am konkreten Beispiel genau untersucht werden, um Fehlinvestitionen und monostrukturierten Fehlentwicklungen entgegenzutreten.

In vielen Fällen haben die Fremdenverkehrsgebiete keinen Einfluß auf die Entwicklung und Lenkung der Tourismusbranche. Als Faktoren, die sich ihrem Einfluß entziehen, gelten im allgemeinen:

(KRUSNIK 1978, S.66f.)

Nach der Analyse der Beschäftigungs- und Deviseneffekte und der zusätzlichen Betrachtung des geringen Beitrags (nur 2,4 %) der Tourismusbranche zum BSP des Landes, das sich 1992 auf 4037702,2 Mio. TL belief (585492434,3 US $; Stand 1992, PRIME MINISTRY STATE PLANNING ORGANIZATION 1993, S.3) wird die von den Behörden propagierte These bzw. Wunschvorstellung, der Tourimsus sei die Lokomotiv- und Vorzeigebranche des Inselstaates, erheblich relativiert. Das BSP pro Kopf lag 1992 bei 3343,4 US $. Die Wertschöpfungsquote läßt sich nicht exakt berechnen. Der ermittelte Wert der durchschnittlichen Ausgaben der Touristen pro Person und Woche kann aufgrund der hohen Antwortverweigerungen nicht als repräsentativ erachtet werden. Auf der Basis der offiziellen Statistiken ist es unmöglich, den genauen Stellenwert des Tourismus zu ermitteln. Die Indikatoren zur Beschreibung des Fremdenverkehrsraumes, die Fremdenverkehrsintensität, die durchschnittliche Aufenthaltsdauer, der Saisonverlauf und die Auslastung des Bettenangebotes zeigen jedoch, daß der Fremdenverkehr keine führende Rolle einnimmt. Aussagen über die Förderungswürdigkeit anderer Wirtschaftszweige können ebenso nicht gemacht werden.

Die Wirtschaftslage im gesamten muß als desolat bezeichnet werden. Ohne finanzielle Zuschüsse aus Ankara ist Nordzypern nicht überlebensfähig. Einem extrem großen Beamtenapparat steht eine unproduktive Landwirtschaft gegenüber (veraltete Maschinen, falsche Pflege der Citrusplantagen). Hinzu kommt der geringe Bestand an produzierendem Gewerbe, so daß es zu den teuren Importen kommt.

Um den Stellenwert des Tourismus wertmäßig richtig beziffern zu können, bedarf es zunächst einer Offenlegung aller Tatsachen (politischer wie ökonomischer) u.a. der Problematik der illegalen Arbeitsimmigranten, der exakten Aufarbeitung allen statistischen Materials und der zusätzlichen Erhebung notwendiger Daten. Man kann davon ausgehen, daß der Fremdenverkehr in Zukunft nur dann Wirtschaftsimpulse induzieren kann, wenn entsprechende, zielgerichtete Planungsinitiantiven (Erstellung von Rahmenplänen, wirksame Kontrollmechanismen) unternommen werden, die die neuen Erkenntnisse der Branche miteinbeziehen.

6.6 Handlungsempfehlungen

Nordzypern steht wie die meisten insularen Kleinstaaten dem Problem gegenüber, nur über ein begrenztes Wirtschaftspotential zu verfügen. Verantwortlich dafür sind die geringe Fläche, geringe Ressourcen -materiell und personell-, stagnierende sozioökonomische Strukturen, der geringe Grad an Diversifikation, hohe Transportkosten, fehlende örtliche Märkte, geringe endogene Stimuli und eine schlechte Infrastruktur (HAHN 1982, S.3f; EISENSTADT 1977, S.70).

Im Falle Nordzyperns sind die Entwicklungs- bzw. Expansionsmöglichkeiten der Wirtschaft aufgrund der prekären politischen Lage einseitig auf die Türkei ausgerichtet. Dem Fremdenverkehr muß deshalb in dieser Hinsicht eine besondere Rolle zugeschrieben werden. WILKINSON (1989) begründet die "Unvermeidbarkeit" des Tourismus mit dem Verlangen der Kleinstaaten, sich wie die Makrostaaten zu verhalten (WILKINSON 1989, S.158). Aufgrund geringer natürlicher Ressourcen und fehlendem Humankapital scheint der Tourismus die einzige Lösung für die wirtschaftliche Weiterentwicklung zu sein. Die Aussage von MIECZKOWSKI (1990), daß der Tourismus krisenresistenter sei, bedarf einer Relativierung. Gerade im Falle Nordzyperns hat sich herausgestellt, daß weltpolitische Krisen die Entwicklung des Fremdenverkehrs empfindlich gestört haben. Wie aus Abb. 9 deutlich wird, hat der Golfkrieg einen drastischen Besucherrückgang bewirkt. Die Abhängigkeit von den Quellgebieten wird ersichtlich.

Auf der anderen Seite hat Nordzypern selbst einen nicht unbedeutenden Einfluß auf die angebotsspezifischen Faktoren, die die Entwicklungschancen des Tourismus erheblich verbessern können.

Dazu zählt neben der Anhebung der Qualität von Hotels und Restaurants auf internationales Niveau, der zusätzliche Bau fremdenverkehrsrelevanter Einrichtungen wie Cafés, Bars oder Diskotheken bzw. der Ausbau der Sportangebote. Es gilt, das vorhandene Potential qualitativ konkurrenzfähig zu machen, um in Zukunft zahlungskräftiges Klientel anzusprechen. Vorrangig muß das Problem der Personalrekrutierung gelöst werden. Eine fundierte Ausbildung ist ebenso notwendig wie die Möglichkeit besserer Verdienstchancen, um der Abwanderung von Fachkräften entgegenzuwirken.

Eine Diversifizierung des Fremdenverkehrsangebotes muß angestrebt werden. Sie ist nötig, um die zunehmende regionale Konzentration des Küstentourismus zu entzerren. Einer ausgeglicheneren Auslastung über das Jahr entsprechen steigende Touristenzahlen, ohne daß notwendigerweise neue Hotels gebaut werden müssen. Außerdem kann dadurch der Beitrag zum BSP gesteigert werden, saisonbedingte Arbeitslosigkeit vermieden und ein breiter angelegtes Berufsfeldspektrum erreicht werden. Als Beispiel sollen hier der Wander- und Reitwandertourismus oder das Mountainbiking erwähnt werden, Sportarten, die hauptsächlich in den kühleren Jahreszeiten durchgeführt werden und zudem nicht auf die Küstenbereiche beschränkt sind. Die Förderung des Konferenztourismus könnte gleiche Wirkung haben. Wichtig ist auch der Ausbau der Infrastruktur für Individualtouristen wie etwa Reiseagenturen oder private Sportanbieter.

Dem allgemeinen Reisetrend entsprechend sollte Nordzypern versuchen, den Wunsch nach multifunktionalem Urlaub in zukünftige Planungen aufzunehemen, ebenso neue potentielle Kunden zu berücksichtigen (Singles). Der Urlaub in Ferienclubs gewinnt hierbei an Bedeutung, da die Zahl der Einzelreisenden wächst.

Zur Ermittlung von Kundenwünschen und brancheninternen Trends ist, neben der Marktforschung (wissenschaftliche Primär- und Sekundärforschung) die Marktbeobachtung (empirische Beobachtung der Marktsituation). wichtig. Nur mit gutem Informationsstand über die Nachfragestrukturen, kann eine zielorientierte Planung implementiert werden. Ähnlich eines Produktes unterliegen Reiseziele einem Lebenzyklus (KIRSTGES 1992a, S.40). In diesem Fall könnte Nordzypern versuchen, in jährlichen Abständen mit Hilfe standardisierter Fragebögen, die Kundenwünsche zu ermitteln. Das Entscheidende der fremdenverkehrsbedingten Strukturveränderungen ist, daß sie im Gegensatz zu kurzfristiger Konjunkturpolitik langfristige Wirkung haben. Der Bau von Hotels kann nicht ohne bleibende Schäden wieder rückgängig gemacht werden. Nordzypern muß deshalb versuchen, die voranschreitende Zersiedelung der Natur zu verhindern, da sonst die Grundlage bzw. die Reisemotive, wie im empirischen Teil nachgewiesen werden konnte, nämlich die unberührte Natur, ad absurdum geführt werden. Die Auswertung der Umfragebögen hat ergeben, daß "keine Veränderung" erwünscht ist. Ansätze von Massentourismus müssen auf jeden Fall vermieden werden, um den jetzigen Kundenstamm zu erhalten. Die Karpas Halbinsel sollte als National- oder Naturschutzpark ausgewiesen und somit vor dem Bau neuer Hotels bewahrt werden. Es muß auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, die räumliche Konzentration des Tourismus im schmalen Küstenbereich zu vermeiden, stattdessen eine regionale Dezentralisierung anzustreben, wobei aber Nutzungskonflikte mit der Landwirtschaft unbedingt vermieden werden müssen. Wünschenswert wäre ein koordinierter Bebauungsplan, der landestypische Objekte unterstützt. Dies setzt ein effektiveres Arbeiten des Tourismusministeriums, ähnlich der CTO in Südzypern, voraus. Bestehende Strukturen, z.B. die Organisation der Reiseagenturen, die eine effiziente Konkurrenz verhindert und das System der Hotelklassifizierung müssen überdacht werden. Wirksame Verkaufsförderung ist unerläßlich. Nordzypern sollte sich verstärkt auf Reisemessen (ITB in Berlin, London und Amsterdam) mit ansprechendem Prospektmaterial präsentieren, ganzheitliche Konzepte vorstellen und neue Trends miteinbeziehen. Dem steigenden Touristenaufkommen sollte hier auch rechnung getragen werden.

Bei all diesen Überlegungen darf nicht übersehen werden, daß deren Realisierung natürlich von der Wirtschaftslage Nordzyperns direkt abhängig sind. Die in Kapitel 6 ermittelten, für den Fremdenverkehr relevanten, Indikatoren - Beschäftigungseffekte, Deviseneffekte und Investitionsquote - zeichnen ein ungünstiges Bild für die zukünftige Entwicklung der Branche. Die gesamte Wirtschaft Nordzyperns befindet sich in einer kritischen Situation. Der unkontrollierte Transfer von Gewinnen der Fremdenverkehrsbranche ins Ausland verhindert nötige Investitionsleistungen für die Qualitätsverbesserung der Infrastruktur ebenso Innovationen, vorallem im Bereich umweltverträglicher Produkte. Wünschenswert wäre eine Steigerung des verarbeitenden Gewerbes und Intensivierung der Landwirtschaft, um hohe Importkosten, gerade für den höherwertigen Tourismus, zu verringern.


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