Thomas Ott: Ein interaktives Modell zum Flächennutzungswandel im Transformationsprozeß am Beispiel der Stadt Erfurt

Freizeitwohnsitze ("Datschen")


Schrebergartenkolonien entstanden in den deutschen Städten als Begleiterscheinung der beengten Wohnverhältnisse in der Industrialisierungsphase seit Ende des letzten Jahrhunderts. In der DDR gewannen die ausgedehnten "Datschen"-Kolonien ähnlich wie in den anderen sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas v. a. in den 60er und 70er Jahren auffällig an Umfang und Bedeutung, wobei die Einführung der Fünftagewoche ab 1967 als Hauptursache der wachsenden Freizeitbedürfnisse und des sichtbaren Wandels "der Kleingartenlaube vom Unterschlupf und Geräteschuppen zum kleinen Wochenendhaus" (GRIMM/ALBRECHT 1990, S. 87) genannt werden kann. Im Laufe der Zeit, wurden die Freizeithäuser oft weiter ausgebaut, so daß vielfach Übergangstendenzen zu permanenten Wohnsiedlungen zu beobachten waren. Ende der 80er Jahre lag der Anteil der Gartenlauben, die für Übernachtungen oder gar längere Aufenthalte eingerichtet waren, je nach Lage der Freizeitsiedlung zwischen 25 und 100 % (vgl. GRIMM/ALBRECHT 1990, S. 90). Den Freizeitwohnsitzen kam eine bedeutende Rolle sowohl als Ausgleich für die beengten Wohnverhältnisse als auch als Rückzugsnische aus der Reglementierung und Überwachung des sozialistischen Alltagslebens zu. Die überschüssige Initiative, die der eintönige Alltag im Plattenbau nicht binden konnte, wurden "ins Wochenendgrundstück gesteckt. Datschen sind in diesem Kontext mehr als nur Freizeitorte und Besitz, sie sind oder waren sinnstiftend" (WEISKE 1996, S. 183).  
Datschenkolonie an der Schwedenschanze
     
Die ersten Kleingartenanlagen Erfurts entstanden um 1900 auf durch Kiesabbau devastierten Flächen. Bis zum Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl auf 44. Erneute sprunghafte Anstiege waren unmittelbar nach Kriegsende sowie in den siebziger und achtziger Jahren zu verzeichnen (vgl. Tab. 32). 1988 nahmen die Klein- und Wochenendgärten eine Fläche von 786 ha ein, was etwa 7,4 % der Stadtfläche und somit dem doppelten Anteil aller Stadtwälder, Parks und begrünten Plätze entsprach. Die Zahl der Parzellen betrug 8533, davon ca. 1.200 an den Hängen des Geratales (vgl. ROSENPFLANZER 1988, S. 51). Die Neuschaffung weiterer Anlagen war geplant (vgl. GBP/GVP Erfurt 1989, S. 39a). Trotz dieser enormen Zahlen bezifferte RIESE (1984, S. 91) die Zahl der registrierten Bewerber um einen Kleingartenplatz auf ca. 4.000. Zu den negativen Folgen der Datschenkolonien zählten neben dem Flächenverbrauch und der Landschaftszersiedelung (vgl. PFAU 1990, S. 202) insbesondere der hohe Wasserverbrauch, der unkontrollierte Einsatz von Herbiziden und Pestiziden, Grundwasserverunreinigungen, die Zerstörung von Biotopen sowie Entsorgungsprobleme.   Tab. 32: Anzahl und Entstehung der Erfurter Kleingartenanlagen

Zeitraum

neu entstandene / hinzugekommene Kleingartenanlagen

kummulierte Anzahl

 

im Stadtgebiet

durch Eingemeindung

 

1900-1910

4 4

1911-1920

15

19

1921-1930

15

1

35

1931-1940

9

44

1941-1950

11

3

58

1951-1960

3

1

62

1961-1970

7

69

1971-1980

16

2

87

1981-1990

15

5

107

1991-1995

3

2

112

Quelle: SÜHLFLEISCH (1995, S. 7)

     
Insbesondere nach den Kriegen wurden Gartenlauben in provisorische Unterkunftsmöglichkeiten umgewandelt. Zwar genossen die Kleingartenanlagen zu DDR-Zeiten gesetzlichen Schutz, jedoch war auch hier das dauerhafte Wohnen im Garten seit den sechziger Jahren verboten. Nichtsdestotrotz waren in Erfurt zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung 264 Dauerbewohner in 18 der 107 Kleingartenanlagen registriert. Da die schon vor dem 3.10.1990 dauerbewohnten Kleingärten Bestandsschutz genießen und sich das Wohnrecht nicht auf die Bewohner, sondern auf die Gebäude bezieht, handelt es sich somit um ein dauerhaftes Phänomen. Allerdings sind Ausbaumaßnahmen, die über die Zustandserhaltung hinausgehen, nicht gestattet (vgl. SÜHLFLEISCH 1995). Auch heute besitzen die nicht dauerhaft bewohnten Datschen insbesondere für die Bewohner der Plattenbauten eine große Bedeutung als Zweitwohnsitze. Der Erholungsfaktor hat gegenüber der Vorwendezeit noch weiter zugenommen, da die Versorgung mit Obst und Gemüse stark verbessert wurde. Die Zahl der Bewerber um einen Garten ist nach wie vor hoch, wobei in den jüngeren Plattenbausiedlungen im Süden der Stadt die größte Nachfrage besteht (vgl. SÜHLFLEISCH 1995).    

   
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