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2. Schizophrene Selbst-Demarkation: Der gegenwärtige Forschungsstand

2.1 Zur Definition von Schizophrenie und zum Stellenwert der Selbst-Demarkation

"Das Wort schizoid bezieht sich auf ein Individuum, dessen Totalität der Erfahrung in zweierlei Hinsicht gespalten ist: an erster Stelle ist da ein Riß in der Beziehung zu seiner Welt und an zweiter Stelle ein Bruch in der Beziehung zu sich selbst. Ein solcher Mensch kann sich selbst nicht als "zusammen mit" anderen oder als "zu Hause in" erfahren, sondern erfährt sich im Gegenteil in verzweifeltem Alleinsein und Isolation; mehr noch, er erfährt sich nicht als vollständige Person, sondern vielmehr als auf verschiedene Arten "gespalten" ..."

Diese einleitenden Sätze R. D. LAINGs (1976, p. 13) aus seiner phänomenologisch orientierten Studie "Das geteilte Selbst" hätten gute Chancen, zu den entscheidenden zu gehören, würde die "scientific community" der Psychiatrie aufgefordert, einen äußerst konzisen Konsens darüber zu erzielen, was die Schizophrenie (wegen ihrer Vielgestaltigkeit wohl besser: die Gruppe der Schizophrenien) im wesentlichen als Störung charakterisiere. Wie im folgenden zu zeigen sein wird, werden die Aspekte der Außengrenze des Selbst*7 sowie, quasi als "Kehrseite der Medaille", dessen Binnendifferenzierung fast immer tangiert, wenn von Schizophrenie die Rede ist. Der Begriff des Selbst kann dabei zunächst annäherungsweise bestimmt werden in Anlehnung an die prädikatslogische Definition von METZINGER (1993) im Rahmen seiner naturalistischen Theorie des Geistes. Demnach konstituiert ein Subjekt seine Identität über die Ausbildung eines Selbstmodells im Zusammenhang mit mentalen Prozessen, deren kategoriale Abgrenzungskriterien Intentionalität und Erlebnisqualität sind.

Bevor nun auf die international gebräuchlichen psychiatrischen Klassifikationssysteme ICD und DSM eingegangen wird, wollen wir zuvor zwei psychopathologische Denktraditionen skizzieren, die bis heute Einfluß auf die Theoriebildung der Schizophrenieforschung ausüben: nämlich die "Heidelberger Schule" um K. SCHNEIDER und die "Zürcher Schule" um E. BLEULER.

2.1.1 Die Denktradition K. SCHNEIDERs

SCHNEIDER (1980) gründet seine Psychopathologie - ohne in der philosophischen Diskussion des Leib-Seele-Problems Stellung zu beziehen - auf einen "empirischen Dualismus" von Psyche und Soma. Entsprechend bezieht er eine psychologische Symptomatologie auf eine somatologische Ätiologie, wobei die jeweiligen Faktoren der beiden "Ordnungen" kausal miteinander verknüpft sind (etwa Paralyse - Demenz). Im Rahmen dieser "zweispurigen Diagnostik" gelten die ätiologischen somatischen Faktoren der Zyklothymie und Schizophrenie als unbekannt. Bei den endogenen Psychosen wird dabei vorausgesetzt, daß es sich bei ihnen um Folgen von Krankheiten handelt und daß sie sich von "abnormen Spielarten seelischen Wesens" qualitativ unterscheiden.

SCHNEIDER unterwirft seine psychopathologischen Kriterien entsprechend ihrer diagnostischen Relevanz einer Rangstufung. Das subjektive Erleben rangiert bei ihm eindeutig vor reinen Ausdruckssymptomen (wie Manieriertheit etc.), zumal er bei letzteren die Beobachterreliabilität für unzureichend hält. Für die Schizophrenie sind für ihn Symptome 1. Ranges: das Hören dialogischer oder kommentierender Stimmen, Gedankenentzug, -beeinflussung und -ausbreitung, Wahnwahrnehmungen, Beeinflussungserlebnisse des Fühlens, Strebens (i.e. der Triebe) und Wollens. Symptome 2. Ranges sind: die übrigen Sinnestäuschungen, der Wahneinfall, Ratlosigkeit, Verstimmungen, Gefühlsarmut u.a..

Da verschiedene ätiologische Faktoren die gleichen bzw. ähnliche Symptome zeitigen können, müssen vor einer Diagnose der Schizophrenie bekannte körperliche Begründungen ausgeschlossen worden sein.

Die "Ichstörungen" werden von SCHNEIDER - was ihre Relevanz für die Diagnose der Schizophrenie betrifft - sowohl betont als auch relativiert. In Anlehnung an JASPERS (1913) nennt er fünf formale Kriterien des Icherlebnisses: das Ichbewußtsein im Gegensatz zu außen und anderen, das Aktivitätsbewußtsein, das Bewußtsein der Identität im Zeitverlauf, das Bewußtsein der Einfachheit im Augenblick sowie das Existenzbewußtsein. Bestimmte Störungen des Icherlebnisses - nämlich jene, die das Gefühl der Beeinflussung bzw. Gemachtheit durch andere implizieren - werden für die Schizophrenie als hoch spezifisch angesehen. So sieht SCHNEIDER eine Reihe von Erstrang-Symptomen (z.B. Gedankenausbreitung und -entzug, leibliche Beeinflussung) unter dem Aspekt der "Durchlässigkeit" der Ich-Umwelt-Schranke bzw. des "Konturverlustes" des Ich. Wie alle Störungen des Icherlebnisses wird jedoch auch dieser Aspekt - der unsere Fragestellung der Selbst-Demarkation ja zentral berührt - von ihm relativiert: "Die Abgrenzung gegenüber Außen und Anderen ist wohl auch im wörtlichen Verstande nie aufgehoben." (SCHNEIDER 1980, p. 123). - Diese Feststellung korrespondiert mit der Annahme VARELAs (1985), daß die Grenze einer lebenden Einheit nicht völlig aufgehoben werden kann, ohne das Leben zu zerstören.

Kennzeichnend für die Denktradition SCHNEIDERs ist, daß die individuelle Biographie vor dem unpersönlichen Krankheitsgeschehen in den Hintergrund tritt. Diese Sichtweise konstituiert sich im Kontext der Auffassungen von JASPERS (1913) und KANT (vgl. DÖRNER 1984, p. 200), die die Uneinfühlbarkeit psychotischen Geschehens postulieren.

2.1.2 Die Denktradition E. BLEULERs

Für BLEULER (1983) - für den psychische und somatische Faktoren Ausdruck des gleichen Lebensvorganges sind - spielt die (prämorbide) Persönlichkeit eine weitaus größere Rolle als für SCHNEIDER: Zwar wird auch die Psychose im Sinne eines Krankheitskonzeptes gedeutet, der Zusammenhang zwischen psychischen Symptomen einer- und lebensgeschichtlichen Faktoren andererseits jedoch betont. Die Unterschiede zwischen BLEULER und SCHNEIDER sind jedoch vor allem in psychopathologischer Hinsicht deutlich und bedeutsam. Ähnlich wie SCHNEIDER, unterscheidet auch BLEULER Symptomklassen der Schizophrenie nach ihrer Relevanz. Diese Unterscheidung wird jedoch nicht lediglich aufgrund einer eher statistischen Gewichtung vorgenommen, sondern vor allem aufgrund eines theoretischen Konzepts. Demnach gibt es primäre oder Grundsymptome, die direkte Anzeichen der vermuteten Grundstörung sind, sowie davon zu trennende sekundäre oder akzessorische Symptome, die eher psychoreaktive Reflexe der Grundstörung darstellen (und somit psychologisch verstehbarer sind).

Grundsymptome sind nach BLEULER (1983) durch einen "Mangel an Einheitlichkeit und Ordnung aller psychischen Vorgänge" (p. 408) gekennzeichnet, aus dem Störungen des Gedankenganges (vorwiegend Zerfahrenheit), der Affektivität (vor allem Ambivalenz, Affektverflachung und Parathymie) und des subjektiven Erlebens der eigenen Person in Verbindung mit Störungen des Willens und des Handelns resultieren. Hervorgehoben wird auch der Autismus.

Als akzessorisch gelten Sinnestäuschungen, Wahnideen, funktionelle Gedächtnisstörungen, katatone Symptome sowie Sprach- und Schrifteigenheiten. Wahrnehmung, Orientierung und Gedächtnis werden dabei als weitgehend erhalten angesehen.

Störungen der Selbst-Demarkation sind bei BlEULER Störungen der Person und als solche zu den Grundsymptomen zu rechnen. Dabei hebt BLEULER vor allem die identifikatorischen Prozesse der Appersonierung (introjektiver Modus) und des Transitivismus (projektiver Modus) hervor.

Für den zur "Zürcher Schule" BLEULERs zählenden BENEDETTI (1983) - der nicht so scharf wie BLEULER zwischen Grund- und akzessorischen Symptomen trennt - gehört die "Ich-Entgrenzung" zu den Primärsymptomen der Spaltung, der Athymie und des Autismus. Sie ist, wie die gespaltene Identitätsbildung und der Kohärenzverlust der Person, zum Phänomen der Spaltung gehörig und

"entspricht der Spaltung im Bereich der Selbstabgrenzung und der Objektbeziehung. Beide Funktionen fallen aus. ... Ein Kranker, der sich derart ausgeliefert fühlt, ist gleichzeitig auch autistisch abgekapselt. Er kann sich nicht in eine Beziehung mit den Mitmenschen setzen, die ihn besetzen, weil er kein Selbst ist. Die Entgrenzung verbindet sich also mit einer autistischen Verdichtung der Grenzen. Sie wird sichtbar in einem Denken, das von Verwechslungen, Kontaminierungen, Derivationen, Substitutionen und Interferenzen durchsetzt ist."
(p. 18 f).

Im Anschluß an BLEULER betont auch BENEDETTI Appersonierung und Transitivismus, die, im Unterschied zur Neurose, als Introjektion und Projektion nicht nur einzelne Gedanken und Gefühle betreffen, "sondern das ganze Selbst und Weltbild erfassen und somit das Erleben der Subjekt-Objekt-Grenze aufheben." (p. 19).

2.1.3 Die Schizophrenie in der ICD

Die ICD ist - als Krankheitsklassifikationssystem der WHO - nach wie vor international (mit Ausnahme der USA) am gebräuchlichsten, um psychiatrische Störungen zu diagnostizieren. Nichtsdestoweniger ist eine Reihe von Kritikpunkten geäußert worden, deren wohl wichtigster die z.T. implizite Vermischung deskriptiver Aspekte mit ätiologischen Vorannahmen ist (zur Diskussion vgl. BASTINE 1981).

Zumindest ein Teil dieser Kritik ist mit der erneuten Revision der ICD allerdings gegenstandslos geworden, da die ICD-10 (DILLING et al. 1991) sich der statistisch-deskriptiven Klassifikation des DSM III-R bzw. IV nähert.

Schizophrene Psychosen bilden zusammen mit schizotypen und wahnhaften Störungen (unter Einschluß der schizoaffektiven Psychosen) das Kapitel F 20 der ICD-10. Dabei werden sie wie folgt charakterisiert:

"Die schizophrenen Störungen sind im allgemeinen durch grundlegende und charakteristische Störungen von Denken und Wahrnehmung sowie inadäquater oder verflachter Affektivität gekennzeichnet. ... Die Störung beeinträchtigt die Grundfunktionen, die dem normalen Menschen ein Gefühl von Individualität, Einzigartigkeit und Entscheidungsfreiheit geben."
(p. 95).

Die ICD unterscheidet folgende Unterformen: die paranoide Form mit Wahnideen und meist akustischen Halluzinationen; die hebephrene Form, bei der Affektveränderungen im Vordergrund stehen; sowie die katatone Form mit einer ausgeprägten Störung der Psychomotorik. Neben diesen "klassischen" Formen kennt die ICD-10 noch den Typus der undifferenzierten Schizophrenie, die postschizophrene Depression, das schizophrene Residuum (sog. "Minus-Symptomatik" wie Antriebsarmut, Affektverflachung u.a.), die Schizophrenia simplex mit dem Leitsymptom des schleichenden Leistungsabfalls und der Verhaltensauffälligkeit sowie zwei Restkategorien, in der z.B. auch ausgeprägte Coenästhesien eingeordnet werden können. Im Unterschied zur ICD-9 kann auch der Verlauf (kontinuierlich, episodisch, Remissions- und Residualart) verschlüsselt werden.

Störungen der Selbst-Demarkation (bzw. Selbst-Differenzierung) gehören zu den Kardinalssymptomen:

"Die Betroffenen glauben oft, daß ihre innersten Gedanken, Gefühle und Handlungen anderen bekannt sind oder andere daran teilhaben."
(p. 95).

Die ICD-10 hebt hierbei vor allem Gedankeneingebung, -entzug und -ausbreitung sowie den Beeinflussungswahn hervor, die zusammen mit dem Gedankenlautwerden, Stimmenhören und den kulturell unangemessenen Wahnvorstellungen zu den diagnostischen Leitsymptomen im engeren Sinne gehören.

2.1.4 Die Schizophrenie im DSM IV

Das DSM-IV (1994) klassifiziert psychische Störungen nach einem Beurteilungsschema (Entscheidungsbaum), das - auf empirischer Grundlage fußend - eine multiaxiale Struktur aufweist und u.a. auch die Dauer einer Störung sowie die mit ihr verbundenen psychosozialen Einschränkungen erfaßt. Dieses vorwiegend in den USA, aber auch bei internationalen Forschungen gebräuchliche diagnostisch-statistische Manual ist vorwiegend deskriptiv ausgerichtet und bemüht, ätiologische Annahmen zu explizieren. Ihm liegt ausgewiesenermaßen eine Kontinuitätsannahme psychischer Störungen zugrunde.

Das DSM-IV unterteilt schizophrene Störungen nach dem paranoiden, dem desorganisierten, dem katatonen, dem undifferenzierten und dem residualen Subtypus. Für das Vorliegen einer Schizophrenie müssen auf der symptomatischen Ebene mindestens zwei der folgenden Symptome vorhanden sein: Wahn, Halluzinationen, desorganisierte Sprache, desorganisiertes bzw. katatones Verhalten. Störungen der Ich-Demarkation gehören wie alle Ich-Störungen im DSM-IV zu den sog. bizarren Wahnideen, die sich durch ein extremes Maß an Nichtnachvollziehbarkeit hervorheben. Ihre Bedeutung wird im DSM-IV dadurch unterstrichen, daß, abweichend von der oben genannten Regel, das Vorliegen eines bizarren Wahns alleine ausreicht für die Diagnose einer Schizophrenie, wenn die weiteren Kriterien (Dauer, Ausschluß organischer Ursachen etc.) erfüllt sind. Besonders anzumerken ist schließlich, daß im DSM-IV immer wieder auf den kulturbedingten Normenrelativismus verwiesen wird (womit implizit auch der Beobachterstandpunkt relativiert wird).

2.2 Phänomenologie der Selbst-Demarkation:

Die Ich-Psychopathologie SCHARFETTERs

In seiner "Allgemeinen Psychopathologie" kennzeichnet der Vertreter der "Zürcher Schule" C. SCHARFETTER (1985) seinen therapeutisch-forschungsheuristischen Zugang als einen der "verstehenden" (vs. einer rein "deskriptiv" bleibenden) Psychopathologie. Insofern dieser Zugang ein hermeneutischer ist, wird auch dem "verrücktesten" Symptom ein Sinn unterstellt, der prinzipiell einer funktional-finalen Deutung zugänglich ist, deren via regia die Zusammenschau der existentiellen Selbstinterpretation des Patienten und die theoriegeleitete Fremdinterpretation des Therapeuten ist (was einer Relativierung des Beobachterstandpunktes nicht nur pauschal, wie im DSM-IV, sondern im Rahmen eines explizierten kommunikativen Kontextes, gleichkommt). Die Theorie, von der sich der Therapeut oder Beobachter leiten läßt, ist die Phänomenologie des Ich-Bewußtseins. Auf dem Wege der phänomenologischen Reduktion werden verschiedene Dimensionen des Ich-Bewußtseins als Konstrukte herauskristallisiert. Störungen im psychopathologischen Sinne werden in der Theorie SCHARFETTERs im "mittleren Tages-Wach-Bewußtsein" oder "Alltagsbewußtsein" (im Gegensatz zum "Überbewußtsein" etwa meditativer Grundlage oder dem "Unterbewußtsein" im z.B. hypnoiden Erleben) angesiedelt.

So definiert SCHARFETTER (1986, p. 14):

"Sofern bei klarem Tages-Wach-Bewußtsein Störungen des Ich-Bewußtseins in den fünf basalen Dimensionen vorkommen, sprechen wir, unabhängig von der Ätiologie der Störung, von einem schizophrenen Syndrom."

Für ein solches Vorgehen sprechen nach SCHARFETTER (1986) verschiedene Gründe: die Operationalisierbarkeit des Konstruktes, die Ökonomie bei der Sichtung und Interpretation verschiedenartiger Befunde, die Möglichkeit prognostischer Aussagen und die pragmatische Relevanz.*8

Die in der Definition des schizophrenen Syndroms*9 angesprochenen fünf basalen Dimensionen sind nach SCHARFETTER (1986) Gewißheiten der Selbsterfahrung (vgl. JASPERS 1913):

Das Konstrukt des Ich-Bewußtseins speist sich somit aus den Informationsquellen des verbalisierten Erlebens des Patienten, seines beobachtbaren Verhaltens sowie seiner (wahnhaften) Interpretation der eigenen Selbst- und Welterfahrung. Aus der so konstruierten Symptom-Ebene werden die Syndrome 1. Ordnung (= Dimensionen) abgeleitet, die zusammen das Ich-Bewußtsein bilden.

Bei Störungen der Ich-Demarkation ist die

"Abgrenzung des Ich vom anderen, vom Du ... unsicher oder aufgehoben, so daß das Ich jedem Außeneinfluß zugänglich ist, beeinflußt, gesteuert, manipuliert werden kann. Grenzstörung bedeutet Störung des Grenzverkehrs, also auch Interaktionsstörung."
(SCHARFETTER 1986, p. 48).

Störungen der Ich-Demarkation betreffen die Ich-Grenze, die Unterscheidung zwischen Ich und Nicht-Ich und zwischen innen und außen, die Subjekt-Objekt-Diskrimination sowie die Realitätskontrolle. Im Erleben und Verhalten des Schizophrenen imponieren hier Angst, Ratlosigkeit, Orientierungsunsicherheiten, Rückzugstendenzen, Konfusion von Innen- und Außenwelt, ein Gefühl der Verlorenheit und bisweilen Bewegungsstürme. Als korrespondierende klinische Symptomatik nennt SCHARFETTER die katatone Erregung, den Stupor, Derealisation, Trema, Autismus sowie Transitivismus und Appersonierung.

Störungen des Ich-Bewußtseins werden vom Individuum als Bedrohung erlebt, auf die es mit verschiedenen Abwehrmöglichkeiten (Erstarren, Flucht, Aktivität) reagieren kann, abhängig von Art und Schwere der Bedrohung und prämorbider Konstitution bzw. derzeitiger Abwehrkraft. Je schwerer und akuter eine Bedrohung erfahren wird, desto uniformer ist die Abwehrreaktion; und je akuter und leibnäher die Bedrohungserfahrung ausgetragen wird, desto höher ist die Remissionswahrscheinlichkeit. - Bei dem Konstrukt der Reaktionen auf die Ich-Bedrohung wird SCHARFETTERs Nähe zur Konzeption BLEULERs deutlich.*10

Störungen der Ich-Demarkation können nach SCHARFETTER (1986) verschiedene Abwehrformen zeitigen, so auf motorischer Ebene Stupor und Bewegungssturm, auf kognitiver Ebene Wahnstimmung, auf Interaktionsebene Autismus und Schizophasie sowie kognitiv-affektive Überkompensation durch Megalomanie und maniforme Überhöhungen.

In verschiedenen Studien hat SCHARFETTER (1981, 1982, 1985) versucht, sein Konstrukt empirisch zu überprüfen. Aufgrund der Fragebogenantworten seiner Probanden ließ sich ein Generalfaktor "Ich-Bewußtsein" empirisch reproduzieren. Bei einer Gesamtstichprobe von 360 Schizophrenen konnten bei 57 % Störungen der Ich-Demarkation festgestellt werden. (Eine ähnliche empirische Skalierung von Wachbewußtseinszuständen nimmt DITTRICH [1985] vor).

2.3 Selbst-Demarkation im Konzept der Basisstörungen

Das Postulat einer schizophrenogenen Grundstörung, wie es vor allem von der Zürcher Schule formuliert wurde, zeitigt die Frage nach vermittelnden Variablen im transphänomenalen Bereich zwischen den schizophrenen Symptomen einerseits und den Störungen der Neurophysiologie des limbischen Systems und der Transmitterprozesse, wie meist vorausgesetzt, andererseits. Genau diesen Zwischenbereich versuchen HUBER (1983) und SÜLLWOLD (1977, 1983) theoretisch zu füllen. Nach ihrem Basisstörungskonzept

"führt eine neurochemische Störung ... zu einer Störung der Verarbeitung von Informationen mit Nivellierung der Erfahrungshierarchien und einigen wenigen Basisstörungen, die als gemeinsame Zwischenglieder mit unterschiedlichen Anteilen in den vielfältigen, von den Patienten erlebten, relativ substratnahen Basissymptomen und den durch Amalgamierung mit der anthropologischen Matrix entstehenden schizophrenietypischen End- und Überbauphänomenen enthalten sind."
(HUBER 1983, 23).

Charakteristisch ist demnach die Annahme einer kognitiven Grundstörung, die zu mehr oder weniger spezifischen Basissymptomen führt: kognitive Störungen ebenso wie Coenästhesien, sensorische und zentral-vegetative Störungen, Unruhe, Getriebensein, Erregbarkeit u.a.. SÜLLWOLD (1977) hat versucht, die beschriebenen Basissymptome erlebnispsychologisch in standardisierter Form zu untersuchen. Im kognitiven Bereich fanden sich im wesentlichen kognitives Gleiten, Gedankeninterferenz und -blockierung, Störungen der selektiven Aufmerksamkeit sowie der rezeptiven und expressiven Sprache. Auf motorischer Ebene fanden sich vor allem Reaktionsinterferenzen im Sinne von Sperrungen oder nicht beabsichtigten Bewegungen und der Verlust von Automatismen. Im affektiven Bereich wurde eine Diskriminationsschwäche bezüglich der Unterscheidung positiver und negativer Gefühle geschildert, auch das Gefühl der Gefühllosigkeit und Anhedonie. Desweiteren imponierte eine mangelnde Differenzierung zwischen Erinnerung und Phantasie bzw. von Phantasie und Wahrnehmung in Verbindung mit Facetten und Vorstufen des Gedankenlautwerdens.

All diese Basissymptome werden von HUBER mit der für ihn relevantesten kognitiven Grundstörung in Zusammenhang gebracht: dem Verlust von Gewohnheitshierarchien (BROEN & STORMS 1966). Gemäß den Lernprinzipien von HULL (1952) nimmt HUBER an, daß aufgrund von Konditionierungsprozessen Stimuli mit abgestuften Gewohnheitsstärken assoziiert sind, was eine ökonomische Informationsverarbeitung ermöglichst, die durch die als schizophrenietypische angesehene Nivellierung der Deutungs- und Reaktionswahrscheinlichkeiten gestört wird, weil irrelevante Reize als Störvariablen fungieren und konkurrierende Reaktionstendenzen die Folge sind. Dieser Prozeß wird als Filterstörung ("overinclusion") bzw. als Decodierungsstörung ("response-interference") beschrieben.

Hier setzt die Kritik von BRENNER et al. (1988) an, die zum einen anmerken, daß dem Konstrukt der Gewohnheitshierarchien ein empirisch nicht zu rechtfertigender Stellenwert zukommt. Wesentliche Fragen intermediärer Prozesse bleiben somit offen. Zum anderen kritisieren sie die Unidirektionalität der Erklärung, also die "kausale Einbahnstraße" von der Neurophysiologie zu den Basissymptomen. Um die Relationen der verschiedenen schizophrenierelevanten Ebenen zu klären, schlagen die Autoren eine hierarchische Betrachtung der Verhaltensorganisation vor. Die einzelnen Funktionsebenen sind dabei immer komplexer integriert: die attentional-perzeptive Ebene, die kognitive Ebene (z.B. Konzeptbildung und Attribution), die mikrosoziale Ebene (soziale Fähigkeiten) und die makrosoziale Ebene (Ausübung sozialer Rollen). Es wird dabei angenommen, daß schizophrene Patienten Defizite auf verschiedenen Ebenen aufweisen, wobei Defizite auf der einen Ebene eine andere Funktionsebene beeinträchtigen können. Die Ebenen selbst stehen in einer hierarchischen Beziehung zueinander: Störungen molekularer Bereiche, etwa auf perzeptiver Ebene, wirken pervasiv, indem sie sich in molareren Bereichen, etwa auf mikrosozialer Ebene, dysfunktional auswirken. Eine umgekehrte Wirkung wird zwar als möglich postuliert, aber in sehr viel schwächerem Maße. So läßt sich das von BRENNER et al. vorgeschlagene modifizierte Basisstörungskonzept zwar als durchaus systemisch charakterisieren, aber dabei unter deutlich atomistischem, nicht holistischem Vorzeichen (vgl. ISRAEL 1979).

In keiner der Formulierungen des Basisstörungskonzepts werden Störungen der Selbst-Demarkation explizit hervorgehoben. Dies ist vor allem wohl dem Umstand geschuldet, daß es sich bei dem Bereich der Selbst-Demarkation um ein sehr komplexes Gebiet handelt, wohingegen die auf dem Basisstörungskonzept fußenden Forschungen eher bemüht waren und sind, entsprechend ihres eher atomistischen Ansatzes, viele verschiedene einzelne bzw. gut abgegrenzte Störungsbereiche symptomatologisch-erlebnispsychologisch zu fassen bzw. experimentell zu überprüfen. Aus dem dargestellten Konzept, besonders in der Fassung von HUBER, läßt sich aber ableiten, daß Störungen der Selbst-Demarkation gefaßt werden als Folge dysfunktionaler kognitiver (regulativer und differenzierender) Prozesse. Die von HUBER und SÜLLWOLD beschriebenen Filterstörungen und damit einhergehenden Diskriminationsschwächen würden eine Differenzierung innerer und äußerer Reize erschweren und - mit BRENNER et al. betrachtet - zu Störungen der Konzeptbildung im kognitiven Bereich führen und evtl. eine Desorganisierung des Selbstkonzepts zeitigen.

2.4 Die Selbst-Demarkation im integrativen Modell der Affektlogik von CIOMPI

In seiner groß angelegten Arbeit "Affektlogik" versucht CIOMPI (1989), für die Schizophrenieforschung ein heuristisches und für die Schizophrenie als Phänomen ein hermeneutisches*11 Modell zu konstruieren, das drei wissenschaftliche Positionen innerhalb der Psychologie (und ihrer Nachbarwissenschaften) integrieren soll: die Psychoanalyse, die Systemtheorie und die kognitive Entwicklungspsychologie PIAGETs. Der Name der Arbeit spiegelt dabei das wissenschaftliche Programm wider. Unter dem Postulat der Einheitlichkeit des Psychischen wird die Komplementarität von Affekt und Kognition aufgezeigt, wobei CIOMPI versucht, die damit je verbundenen Theoriegebäude - so wird die Psychoanalyse z.B. vorwiegend als "Affekttheorie" betrachtet - aus ihrer konstatierten Einseitigkeit zu befreien und zusammenzufügen.*12 Der Systemtheorie, der vorgeworfen wird, intrapsychische Probleme vernachlässigt zu haben, kommt dabei vielfach der Charakter einer Meta-Theorie zu.

Affekte gehorchen nach CIOMPI einer quasi-logischen Ordnung ebenso, wie eine affektfreie Logik nicht denkbar ist:

"Offensichtlich bekommen ... alle kognitiven Schemata einen ganz spezifischen affektiven Stempel ..., der genau wie seine kognitiven Anteile im handelnden Erleben erworben wird. Er stellt nichts anderes dar als einen Auszug ... der affektiven Invarianz (und der Spielweite der möglichen Varianz) des Erlebten ... zum möglichst adäquaten und ökonomischen Handeln dar. Damit aber wäre die Affektstruktur untrennbar mit der kognitiven Struktur verbunden; ihre Bildung wäre, zumindest im Prinzipiellen, völlig analog und gemeinsam, und die eingebaute Affektkomponente würde allen unseren kognitiv bestimmten Handlungen und Operationen immer wieder eine ... spezifische gefühlsmäßige Tönung verleihen, aus der sie mit Wahrscheinlichkeit auch ihre allgemeine Orientierung und Motivierung, das heißt ihre "Energetik" beziehen."
(CIOMPI 1989, p. 69)

Der Motor solcher affektlogischen Schemata ist das Prinzip der majorisierenden Äquilibration im Sinne PIAGETs, also der Weiterentwicklung kognitiver Schemata aufgrund spannungsinduzierender Störungen, die in assimilative und akkomodative - und also strukturanpassende - Prozesse münden. Dynamik und Struktur der Schemata bedingen dabei einander.

Innerhalb dieses Modells kommt der Selbst-Demarkation eine zentrale Bedeutung zu: Nach PIAGET (1975) ist Fluchtpunkt der ontologischen Entwicklung eine möglichst optimale "Dezentration" oder Reversibilität des Denkens, die dann erreicht ist, wenn sich eine Balance zwischen "egozentrischen" Assimilations- und "allozentrischen" Akkomodationsvorgängen hergestellt hat. Nach CIOMPI trifft sich diese Entwicklung mit der Erkenntnis der "fundamentalen Differenz"*13 zwischen Ich und Außenwelt*14.

Ist die Selbst-Demarkation bei CIOMPI Angelpunkt der "normalen" Entwicklung, so ist sie auch derjenige der schizophrenen Abweichung. Folgendes Zitat verdeutlicht dabei zugleich, daß dem Modell CIOMPIs eine Kontinuitätsannahme psychischer Störungen zugrunde liegt, die Schizophrenie mithin nicht als qualitativ völlig verschieden von normalen menschlichen Zuständen und Prozessen angesehen wird:

"Im Vergleich zu den "Verrückungen" Gesunder ist die akut schizophrene Psychose charakterisiert durch eine weit größere Ausschließlichkeit und Dauer (von Phänomenen wie Verwirrung, Ambivalenz etc. - O.E.), eine viel ausgeprägtere Aufhebung der normalen Grenzen zwischen innen und außen sowie durch das immer stärkere Überhandnehmen einer egozentrisch-autistischen Innenwelt gegenüber der äußeren Realität."
(CIOMPI 1989, p. 311)

Diese "Verrückung" steht für CIOMPI in der Regel in Verbindung mit einer grundlegenden Unklarheit, Labilität und Widersprüchlichkeit internalisierter affektlogischer Schemata vor allem in bezug auf die Selbstabgrenzung des Individuums (wobei CIOMPI wiederum Bezug nimmt auf die Narzißmus-Konzeption von KERNBERG (1981), der für Schizophrene unklare Ich-Grenzen postuliert). Diese mangelnde Selbst-Demarkation erscheint bei CIOMPI geradezu als (zumindest eine) grundlegende Disposition der Schizophrenie. Die etwa von SÜLLWOLD (1977) oder HUBER et al. (1979) beschriebenen Basisstörungen (wie fehlerhafte Kategorienbildung, mangelnde Aufmerksamkeitsfokussierung etc.), die von den Autoren im Rahmen eines Vulnerabilitätsmodells diskutiert werden, sind für CIOMPI eher Ausfluß dieser Disposition als selbst dispositionell im eigentlichen Sinne. CIOMPI beschreibt sie am ehesten noch als quasi-dispositionellen Mediator:

"(Die Basisstörung) erscheint mir ... als Variante allgemeinmenschlicher Funktionsweisen, die mit fließenden Übergängen auf der einen Seite in die stumpfe Robustheit und Unempfindlichkeit mancher Gesunder und auf der anderen in verschieden starkem Ausmaß in eine Disposition zu psychotischen Reaktions- und Funktionsweisen übergeht, wie sie bei Überschreitung von individuell sehr verschiedenen Schwellenwerten "unter gegebenen Umständen" (hier spielen für CIOMPI z.B. familiäre Kommunikationsstörungen eine Rolle - O.E.) grundsätzlich wohl bei jedermann auftreten können."
(CIOMPI 1989, p. 327)

Die "Psyche" erscheint bei CIOMPI von der strukturellen Seite her als hierarchisches Gefüge internalisierter affektiv-kognitiver Bezugssysteme und von der dynamischen Seite her als komplexes System von äquilibrierenden und Rückkoppelungsprozessen. Den Prozeß der "Verrückung" begreift er in Anlehnung an die (genuin physikalischen) Theorien von PRIGOGINE & STENGERS (1980, 1984) bzw. JANTSCH (1982). Demnach können Gleichgewichtszustände niederer Ordnung - im Gegensatz zum Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, der eine zunehmende Entropie postuliert - in Zustände höherer Komplexität übergehen. In offenen biologischen Systemen z.B. können Zufallsfluktuationen durch fortgesetzte Energiezufuhr solange verstärkt werden, bis eine Instabilitätsschwelle erreicht ist, jenseits derer ein Zustand neuer raum-zeitlicher Struktur möglich ist. Das "Überschnappen" eines Systems in einen psychotischen Zustand ist nach CIOMPI prinzipiell analog vorstellbar. *15

Ähnlich wie SCHEFLEN (1981) geht CIOMPI davon aus, daß die Neurophysiologie (z.B. die Transmitter-Chemie etwa des Dopamin-Stoffwechsels) nicht lediglich ein dispositionelles Moment darstellt. Der Aufbau affektlogischer Bezugssysteme ist nach seiner Meinung vielmehr an die Entstehung eines korrespondierenden dendritisch-glialen Verbindungsnetzes gekoppelt, so daß hier von einem komplexen Zirkelprozeß biochemischer und psychosozialer Faktoren ausgegangen wird.

2.5 Zusammenfassung

Der bisherige Überblick hat gezeigt, daß Selbst-Demarkation und -Differenzierung in den "klassischen" Schizophrenie-Theorien der Heidelberger und Zürcher Schule wichtige definitorische Bestimmungsstücke der Schizophrenie darstellen. Entsprechend sind sie auch in den bedeutsamsten internationalen Klassifikationen ICD-10 und DSM-IV als kardinale Merkmale aufgeführt.

Für die phänomenologisch orientierte Ich-Psychopathologie SCHARFETTERs sind die verschiedenen dimensionalen Aspekte des Ich-Bewußtseins - und eben auch die Demarkation - konstitutiv für Personalität schlechthin. Analog involvieren schizophrene Störungen vice versa Störungen dieser Dimensionen; sie sind mithin personal, d.h. sie betreffen den ganzen Menschen in seinen leib-seelischen Zusammenhängen und sind keine isolierten Krankheitsentitäten, die jemand "hat" (vgl. SIMON 1990).

Abgesehen von der eher pauschalen Aussage - vor allem in der Tradition BLEULERs -, daß es sich bei Störungen der Selbst-Demarkation um für die Schizophrenie basale Prozesse handelt, verbleibt die Bestimmung des Verhältnisses von Selbst-Demarkation und Schizophrenie vorwiegend deskriptiv. CIOMPI hingegen versucht eine explikative Integration psychoanalytischer, genetisch-epistemologischer und systemtheoretischer Betrachtungsweisen zu einer umfassenden Schizophrenie-Theorie, die vulnerable, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren identifiziert und in einer Art biopsychosozialem Rahmenmodell zusammenfügt. Der Prozeß der "schizophrenen Verrückung" wird von seiner strukturellen Seite beschrieben auf der Grundlage labilisierter affektlogischer Schemata. Von seiner dynamischen Seite her werden kybernetische Feedbackschleifen beschrieben, wobei ausdrücklich Bezug genommen wird auf die genuin physikalischen Theorien der Chaos-Forschung, etwa auf PRIGOGINE & STENGERS. Ergebnisse der Forschungen von HUBER u.a. auf der Grundlage der Theorie der Basisstörungen, vor allem kognitive Defizite, werden in ihrem "Basis-Charakter" relativiert.*16

Wie noch zu verdeutlichen sein wird, beinhaltet das Modell CIOMPIS vor allem drei Aporien:

  1. ist nicht ausreichend klar, inwieweit der Systemtheorie in seinem Ansatz die Bedeutung einer Meta-Theorie zukommt (vgl. SCHLEIFFER 1986) oder ob sie eher ein gleichberechtigter Theoriebaustein ist wie etwa von ihm herangezogene Theoreme der Psychoanalyse. Hier offenbart sich ein Mangel an wissenschaftslogischer Präzision, wie er sich auch niederschlägt in der Heranziehung physikalischer Theorien, ohne die Legitimität dieses Transfers zu erläutern.
  2. wird nicht hinreichend expliziert, inwieweit das "System Mensch" aus systemtheoretischer Sicht exakter definiert werden kann, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen in bezug auf die Spezifikation der Relation Mensch-Umwelt (die bloße Charakterisierung des Menschen als offenes System erscheint als zu global und steht in nicht-thematisiertem Widerspruch zu MATURANAs Theorem der operationalen Geschlossenheit).
    Zum anderen in bezug auf die Relationen der menschlichen Subsysteme untereinander, so daß z.B. die Rolle neuronaler Prozesse weitgehend unklar bleibt.
  3. ist die erkenntnistheoretische Position CIOMPIs nicht geklärt. Zwar impliziert die Bezugnahme auf die genetische Epistemologie und die Systemtheorie einen bestimmten konstruktivistischen Kern. Das Phänomen der Realitätsdefinition und -konstruktion wird aber in seinen normativen und konstitutiven Aspekten kaum problematisiert.

Die in diesen Zusammenhang gehörende Theorie der Autopoiese, die sowohl die Realitätskonstruktion als auch die Rolle neuronaler Prozesse thematisiert, soll im folgenden dargestellt und diskutiert werden, bevor der Versuch unternommen wird, sie möglichst stringent auf schizophrene Phänomene anzuwenden.


Fußnoten:

7 Außer in den Fällen, wo der Begriff "Ich" einen "terminus technicus" einer Theorie darstellt, wird im folgenden der Begriff "Selbst" verwendet. Zum einen, weil "Ich" zu sehr psychoanalytisch konnotiert ist; zum anderen, weil "Selbst" die personale leib-seelische Totalität besser zum Ausdruck bringt, mit der die Erfahrung eines Individuums "als sich selbst" in einem Nexus interner und externer Relationen verbunden ist. Vgl. hierzu auch die über den phänomenologischen Theorie-Kontext hinaus interessante Unterscheidung von "le Je" und "le Moi" bei SARTRE (1948).

8 SCHARFETTER & BENEDETTI (1978) haben eine leiborientierte Therapie schizophrener Ich-Störungen entwickelt, die sich u.a. in der "Konzentrativen Bewegungstherapie" niederschlägt.

9 Ähnlich wie BLEULER trennt auch SCHARFETTER (1986) das biographisch geprägte Bild der "Sichtpsychose" von der daraus durch psychologische Forschung abgeleiteten, konstrukthaften "Primärpsychose" und der lediglich theoretisch postulierten "Grundstörung".

10 Die Erweiterung dieses Theorems um das Konstrukt des "Selbstheilungsversuches" verweist auf Zusammenhänge mit Theorien der Informationsverarbeitung; vgl. etwa BOEKER & BRENNER 1984.

11 "hermeneutisch" ist hier nicht strikt wissenschaftstheoretisch etwa im Sinne GADAMERs (1960) gemeint, sondern allgemeiner als "auf Verstehen ausgerichtet" gefaßt.

12 H. SCHNEIDER (1981) hat ebenfalls einen interessanten Versuch unternommen, PIAGETs Theorie auf die Psychoanalyse anzuwenden.

13 CIOMPI geht von einer binären Grundstruktur des Psychischen aus, die sich in polaren Differenzen (wie Lust-Unlust) manifestiert.

14 Hierbei bezieht sich CIOMPI u.a. auf die psychoanalytische Theorie der Selbst- und Objektrepräsentanzen von KERNBERG (1981).

15 BATESON (1981) hat ähnliche Prozesse als "runaway" beschrieben.

16 Der aus dem Basisstörungskonzept u.a. resultierende therapeutische Ansatz psychoedukativer Einflußnahme wird in Kap. 5.2 diskutiert.


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