MATEO - Mannheimer Texte Online


4. Sächsisch/Vogtländisch und die "Freie Presse"

4.1. Die Region: Sachsen und das Vogtland

Sachsen ist seit der Wiedervereinigung erneut eine einheitliche, eigenständige Region: eines der 16 deutschen Bundesländer. Auf einer Fläche von rund 18 000 km² wohnen etwa viereinhalb Millionen Menschen (STATISTISCHES BUNDESAMT 1993, 96). Die Benennung Sachsens als "Freistaat" interpretiert der Psychologe Müller-Thurau als den Wunsch, so zu werden wie der Freistaat Bayern, "im Hinblick auf das internationale Prestige und das Selbstbewußtsein" (MÜLLER-THURAU 1991, 134). 1987, also noch zu DDR-Zeiten, dichtete der Lyriker Heinz Czechowski Sachsenstolz (CZECHOWSKI 1987, zit. nach MÜLLER-THURAU 1991, 99f):

Definition

Dessen, was Glück ist? -

Auf einer Bank

In Brockwitz am Strom

Eine Flasche

Unverschnittener Traminer im Blut,

Sachsen im Herzen,

Im Herzen der Welt,

Wenigstens meiner.

Der Schriftsteller Erich Loest, der 1981 seine Heimat Sachsen aus politischen Gründen verlassen mußte, äußerte sich zehn Jahre später zum sächsischen Regionalbewußtsein in einem Interview: "Wir Sachsen sollten uns auf Berliner Befehl aus unserer Identität herauswursteln, um in ein DDR-Gefühl hineinzukommen - und siehe da: Dieses hat, auch zu meiner Überraschung, überhaupt nicht geklappt. Überall, vor allem aber in Dresden, kam und kommt dieses Sachsengefühl wieder hoch." (MÜLLER-THURAU 1991, 96) Und: "Weiß-Grün [=sächsische Landesfarben, d. Verf.] - das ist eben Heimat." (MÜLLER-THURAU 1991, 98)

Genauso heimatverbunden und selbstbewußt wie die Sachsen sind auch die Vogtländer. Das Vogtland liegt größtenteils im Südwesten Sachsens, kleine Teile liegen in Thüringen, Bayern und Böhmen. Heimatverbundenheit der Vogtländer läßt sich zum Beispiel an der Heimatliteratur messen. So findet man im Vogtland-Jahrbuch 1995 lyrische Bekenntnisse zur Heimat. Otto Schüler dichtete in vogtländischer Mundart über die Menschen seiner Heimat (Röder 1995, 143):

(...)

Doch hamm mer aa e arnste Seit.

Dös is de Haametlieb und -trei,

die uns der Wald geem innenei.

(...)

In Gesprächen mit mir offenbarten Vogtländer ihre Heimatverbundenheit und den Stolz auf die schöne Mittelgebirgslandschaft. Der Psychologe Müller-Thurau meint, daß der "Vogtländer zuallererst Vogtländer, dann Sachse, danach Deutscher und zuletzt Europäer" ist (MÜLLER-THURAU 1991, 171). Dieses kann ich aufgrund meiner Gespräche dort bestätigen.

Im Vogtland gab es vor allem Textilindustrie (Plauener Spitze), Maschinenbau und Futteranbau. Bedeutend geblieben ist der Fremdenverkehr in der Region (LANDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG BADEN-WÜRTTEMBERG 1992, 9f). Die ans Vogtland angrenzende Region Chemnitz-Zwickau war nach der Region Halle-Leipzig der zweitgrößte Ballungsraum der DDR. Sie ist industriell geprägt durch Fahrzeug- und Maschinenbau (LANDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG BADEN-WÜRTTEMBERG 1992, 7).

4.2. Das Sächsische

Wie wir in den erwähnten Umfragen gesehen haben, ist das Sächsische zumindest interregional stigmatisiert. Daß in der Dresdner Tageszeitung Die Union aber folgende Anzeige erscheinen kann, überrascht dennoch (zit. nach MÜLLER-THURAU 1991, 18; der Autor gibt nicht das Erscheinungsdatum an, vermutlich 1990):

Sächsischer Dialekt in der freien Marktwirtschaft?

Undenkbar!

Nehmen Sie Sprachunterricht.

Nicht ganz ernst zu nehmen ist eine Umfrage in einer Publikumszeitschrift, die Sächsisch als "in" bezeichnet (MÜLLER-THURAU 1991, 77f). Der sächsische Umweltminister und Mathematiker Arnold Vaats nimmt die Unbeliebtheit des Sächsischen außerhalb Sachsens locker. Auf die Frage, wie er damit lebt, antwortet er gewitzt: "Und dann nehmen wir noch das Schwäbische und das Bayrische, und dann wagen wir doch mal die Aussage, daß die Beliebtheit der Mundart möglicherweise umgekehrt proportional zur wirtschaftlichen Effizienz ist." (MÜLLER-THURAU 1991, 90)

Müller-Thurau schreibt über die sächsische Varietät, sie verschaffe "Geborgenheit nach innen und sozialen Wetterschutz nach außen. Beides hatten die Sachsen im Laufe ihrer Geschichte häufig genug ja auch bitter nötig." (MÜLLER-THURAU 1991, 106) In bezug auf die oben zitierte Anzeige beruhigt er: "Dennoch denkt freilich kein Sachse im Traum daran, Sprechunterricht zu nehmen." (MÜLLER-THURAU 1991, 26) Und der Sachse brauche auch deswegen kein Unterricht zu nehmen, "weil es mit seinem Ansehen und seiner Sprache wieder bergauf geht" (MÜLLER-THURAU 1991, 28).

Über das Sächsische gibt es sogar einen Polyglott Sprachführer. Dieser ist in seiner Deutlichkeit kaum zu übertreffen: "Kein anderer deutscher Dialekt ist einer solchen Verachtung ausgesetzt wie der sächsische, keine Sprechergruppe wird so verspottet und verhöhnt wie die Sachsen. Mit dieser nackten Tatsache müssen die Sachsen leben, sie müssen sich mit diesem Urteil, mit dieser Verurteilung durch die anderen abfinden; daran führt kein Weg vorbei." Nach Meinung der Autoren haben die Sachsen keine andere Wahl denn sie "wissen um die noch größere Blamage, die sie sich einhandeln, die noch größere Lächerlichkeit, die sie erzeugen, wenn sie sich krampfhaft um Hochdeutsch bemühen" (POLYGLOTT SPRACHFÜHRER SÄCHSISCH 1992, 4f). Über das Sächsische gibt es zahlreiche Äußerungen: bis zum 17. Jahrhundert positiv, danach immer stärker negativ. Nachlesen kann man einige historische Urteile bei Zimmermann (ZIMMERMANN 1992, 101-105).

Das Gebiet des heutigen Sachsens wurde erst vom 11. - 13. Jahrhundert deutsch besiedelt. Die Siedler brachten ihre nieder-, mittel- und oberdeutschen Dialekte mit, die zu den Hauptbestandteilen der sich entwickelnden obersächsischen Mundarten wurden (BECKER 1969, 30). In den Städten bildete sich ein Ostmitteldeutsch heran, das als geschriebene Geschäfts- und Kanzleisprache bezeugt ist. Becker vermutet, daß eine solche über den Mundarten stehende Varietät auch als gesprochene Verkehrssprache sich entwickelte. Luther verschaffte dem Meißnischen Deutsch Anerkennung, dazu wirkte sich für das Prestige die ökonomische, kulturelle und politische Entwicklung Sachsens im 16. und 17. Jahrhundert positiv aus (BECKER 1969, 136f). Dadurch, daß Eigenheiten der entstehenden neuhochdeutschen Schriftsprache den obersächsischen Mundarten entstammten, ergab sich eine Nähe der beiden Sprachformen. Diese Nähe ermöglichte es, daß die Schriftsprache in die Sprache Obersachsens einging - dieser Verschmelzungsprozeß produzierte die obersächsische Umgangssprache: Die Menschen sprachen die Schriftsprache obersächsisch aus (BECKER 1969, 140-142).

Die heutige sächsische Umgangssprache existiert mindestens seit dem 17. Jahrhundert in den Städten (BECKER 1969, 151). Die mundartlichen Formen schwanden, eine sprachsoziologische Schichtung zeichnete sich ab. Die Städte, den ökonomisch-kulturellen Zentren, wurden zu umgangssprachlichen Sprachinseln in einer Dialektlandschaft, in die sie hineinwirkten (BECKER 1969, 157). Als mundartliche Reliktgebiete blieben die Gebirgslandschaften im Süden und der nördliche Grenzraum. Becker nimmt an, daß sich die Reliktgebiete auf Dauer nicht der Umgangssprache verschließen können (BECKER 1969, 160; siehe Karte 2 im Anhang).

Das Ansehen des Sächsischen war nicht nur wegen der Nähe zur Schriftsprache so gut, sondern auch wegen der sächsischen Kultur und des sächsischen Staates. Ende des 18. Jahrhunderts tauchen dann aber erste Schmähschriften auf (BECKER 1969, 171f). Sachsen wird politisch weniger mächtig durch den verlorenen Siebenjährigen Krieg. Noch 1871 liest man in Deutschland vom Sprachstolz der Sachsen, eine Quelle von 1904 hingegen offenbart sprachliche Scham: "Mancher, der sonst ein guter Sachse ist, freut sich wohl gar, wenn ein Schmeichler ihm versichert, er hätte ihn nach seiner Sprache nicht für einen Sachsen gehalten", zitiert Becker einen Leipziger. Heute gelte das noch genauso (BECKER 1969, 174-176).

Zimmermann weist auf das "Klangideal" des Sächsischen hin, das im Spätbarock und Rokoko in die Nähe des "weiblich Zärtlichen" gerückt werde. Zu dem Wegfall dieses "Klangideals" kam der politische Absturz Sachsens: 1913 standen die Sachsen mit Napoleon erneut auf Verliererseite, der Spott der Führungsmacht Preußen war ihnen sicher. Weiterhin kann man noch Neidkomplexe weniger industrialisierter Regionen geltend machen für den sprachlichen Niedergang Sachsens (ZIMMERMANN 1992, 111f). Die Dominanz des Sächsischen in der DDR - man denke an den Leipziger Walter Ulbricht - sorgte zudem für ein schlechtes Ansehen dieser Sprachform, und zwar sowohl bei vielen Menschen in der DDR außerhalb des sächsischen Sprachraums als auch in der Bundesrepublik (ZIMMERMANN 1992, 108f).

Becker weist noch auf die literarische Gestaltung des sächsischen Spießbürgers hin - der Sachse als komische Figur des 19. Jahrhunderts. Trotz der Stigmatisierung ist das Sächsische nach Becker für viele Mundartsprcher ein erstrebenswertes Ziel (BECKER 1969, 178f). Bergmann hingegen schreibt, die Sachsen fänden ihre Varietät scheußlich, sie sei für die Kommunikation mit Freunden nicht geeignet: "It is felt, even by the Saxons themselves, to be ugly, to put peope off and to be a language that one would like to hide quickly in conversation with outsiders" (BERGMANN 1990, 310).

4.3. Das Vogtländische

"Ein Vogtländer (...) wäre ziemlich beleidigt, wenn man seine Sprache als ‘sächsisch’ bezeichnen würde", warnt der Polyglott Sprachführer Sächsisch, und erklärt, beim Vogtländischen handelt es sich um einen fränkischen Dialekt. In einem kleinen südlichen Zipfel des Vogtlandes wird nordbairisch gesprochen (POLYGLOTT SPRACHFÜHRER SÄCHSISCH 1992, 7). Bergmann reiht das Vogtländische in das Sächsische ein. Er grenzt das im Südvogtland gesprochene Nordbairisch deutlich ab (BERGMANN 1990, 300f). In den dialektalen Reliktgebieten Sachsens, zu denen das Vogtland gehört, sind nach seinen Beobachtungen die Menschen zweisprachig. Untereinander rede man Mundart, mit Fremden oder in der Schule eine standardnähere Varietät. Dialekt ist positiv bewertet (BERGMANN 1990, 310).

In dem südvogtländischen Mundartgedicht "Mei Sprouch u iech" von Hans Meyer klingt die positive Dialektbewertung so (RÖDER 1995, 92):

Kännt’s aa mei Sprouch niat glei vasteah

u kimmt’s enk holprig vür,

dös is no mal mei Muttasprouch

u iech a Stück va ihr;

klingts aa vanöih recht ha(r)tt u rauh,

‘as Herz is duch dabaa,

u wea dös wull za finne waaß,

vastöiht uns alle zwaa!

Auch ein "Ratgeber und Anzeiger für die Fremdenverkehrsregion Vogtland" mit dem Titel Willkommen im Vogtland stellt das Vogtländische positiv dar. Ein Männlein namens "Musimaa" (Musikmännlein) grüßt auf der Titelseite mit der Überschrift "Seid gegrießt, Ihr Leit!" (FREMDENVERKEHRSVERBAND VOGTLAND 1995, 1)

Bergmann/Hellfritzsch betonen in ihrem Vorwort zum Kleinen vogtländischen Wörterbuch, daß die vogtländische Mundart "von seiner Lebendigkeit und Lebenskraft seit den Zeiten der deutschen Besiedlung kaum etwas eingebüßt hat". Als Begründung wird angegeben: "Die vielen sorfort hörbaren und von Fremden kaum nachzuahmenden Eigenarten des Vogtländischen, seine besondere Melodik und Intonation, seine Akzentgebung, seine lautlichen Gesetzmäßigkeiten - insbesondere aber auch sein spezifischer Wortschatz - verleihen diesem Dialekt eine Geschlossenheit und Eigenständigkeit, die für die Bewohner einen außerordentlichen Anreiz darstellen, an diesem echten alten kulturellen Erbgut festzuhalten. (...) Aber auch der gebirgige Charakter dieser Landschaft, ihre ausgedehnten Waldungen und die ehedem abgelegene Lage mancher Gegenden (...) haben vermutlich dazu beigetragen", daß das Vogtländische bisher kaum gefährdet ist (BERGMANN/HELLFRITZSCH 1990, 6). Bei meinem Aufenthalt im Vogtland konnte ich mich davon allerdings nicht überzeugen, meines Erachtens dominiert eine Art von sächsischer Umgangssprache.

Bergmann/Hellfritzsch vermuten, daß das sprachliche Selbstbewußtsein daher rührt, daß es eben kein Sächsisch ist, was im Vogtland gesprochen wird, sondern Ostfränkisch. Während das Sächsische Ostmitteldeutsch ist, ist das Vogtländische Oberdeutsch. Das Gebiet um Plauen ist Kernvogtländisch (BERGMANN/HELLFRITZSCH 1990, 9). Die bäuerliche Besiedlung des Vogtlandes ging im 12. Jahrhundert vonstatten, als Heimat der Siedler gilt der oberostfränkische Raum um Bamberg und Bayreuth (BERGMANN/HELLFRITZSCH 1990, 11). Zur linguistischen Abgrenzung siehe Karte 1 im Anhang.

4.4. Die "Freie Presse/Plauener Zeitung"

Die Freie Presse hat ihren Sitz in Chemnitz, also im Sprachgebiet der sächsischen Umgangssprache. Der Lokalteil der hier untersuchten Ausgabe kommt aus der größten vogtländischen Stadt, Plauen, liegt also im vogtländischen Sprachgebiet. Chemnitz hat 281 000 Einwohner, Plauen 70 000, der Kreis Plauen 35 000 (CANIBOL 1995, 318). Die Lokalausgabe Freie Presse/Plauener Zeitung (FP) ist für Stadt und Kreis Plauen, also rund 105 000 Menschen. Die Zeitschrift Focus gibt die verkaufte Auflage der FP mit 495 225 an (HOLLER 1995, 246), die FP selbst wirbt in ihrer Ausgabe vom 20./21. August, sie sei die größte Zeitung der neuen Bundesländer und habe 1,18 Millionen Leser. Nach Verlagsangaben hat die Plauener Lokalausgabe 28 000 Exemplare täglich. Die Zeitung, die zu DDR-Zeiten das SED-Bezirksorgan Karl-Marx-Stadt war, befindet sich im Besitz der Medien Union (HOLLER 1995, 246), wie die Ludwigshafener Rheinpfalz. Herausgeber ist die Chemnitzer Verlag und Druck GmbH.

Täglich gibt es die Seiten Politik, Hintergrund, Seite Vier (Kommentare, Pressestimmen, Leserbriefe), Sachsen, Wirtschaft, Kultur, Sport, Vermischtes (Buntes, aus aller Welt), Roman/Rätsel, Fernsehen/Hörfunk, Ratgeber. Nicht täglich erscheinen die Seiten Sachsenreport und Briefe. Freitags erscheint die Wochenendbeilage "Freie Presse zum Wochenende" mit den Seiten Titelseite (Reportage), Saxonia (Landes- und Heimatkunde), Hobby, Kaleidoskop (Witze, Anekdoten), Das Thema, Geschichte, Reisen und Touristik, Literaturwerkstatt; außerdem Wochenendtips. Samstags erscheint die Seite Motor/Straßenverkehr vor dem Kfz-Markt, die Seite Beruf/Ausbildung vor dem Stellenmarkt sowie Immobilien- und Kleinanzeigen. Mittwochs erscheint die Seite Blick nach Böhmen, donnerstags Essen und Trinken, Blick nach Oberfranken (diese Seite im Lokalteil) sowie Reisen und Touristik. Der Lokalteil umfaßt fünf oder sechs Seiten einschließlich dem nicht extra gekennzeichneten Lokalsportteil. Der lokale Kulturteil hat eine eigene Seite. Acht Redakteure sind in der Lokalredaktion. Die FP/PZ hat eine Konkurrenz: Vogtlandpost/Vogtland-Anzeiger.Heimatzeitung für Plauen Stadt und Land. Herausgeber ist laut Impressum die Frankenpost Verlag GmbH aus Hof.

4.5. Der Mantelteil

In diesem Kapitel wird anfangs ein Blick auf die Verbundenheit der FP mit dem Bundesland Sachsen geworfen - in den vier untersuchten Monaten Januar, Februar, Juli, August 1994. Damit soll bestätigt werden, daß Regionalzeitungen Regionalbewußtsein fördern beziehungsweise vermitteln und daß die Region identitätsstiftend ist. In einem zweiten Schritt wird kurz darauf geblickt, ob die Zeitung sprachliche Fragen thematisiert, ob es ein Bewußtsein für die Existenz von von der Standardsprache abweichenden Varietäten gibt und wie mit dieser Existenz dieser Sprachformen ungegangen wird. Im dritten Teilkapitel geht es um sächsische Varietäten im Mantelteil der FP. Stellt sich Sächsisch stigmatisiert dar, wie argumentiert die FP-Redaktion? Ist die Vitalität der noch existierenden sächsischen Dialekte erkennbar? Der Lokalteil wird gesondert im Kapitel 5.6. behandelt, ebenso in 5.7. der Anzeigenteil, weil nicht immer die Zugehörigkeit zum Mantel- oder Lokalteil erkennbar ist.

Soweit mir Nonstandardbegriffe allgemein verständlich erschienen, habe ich sie nicht übersetzt. Erschienen mir Begriffe unverständlich, habe ich sie übersetzt, sofern die mir zur Verfügung stehenden Wörterbücher die Begriffe enthielten. Es kommt also vor, daß ich mangels geeigneter Wörterbücher Dialektalismen nicht erklären kann - was aber nicht schlimm ist, geht es in dieser Arbeit doch nur um Einordnungen von Begriffen und nicht um Erklärungen dafür. Inhaltlich biete ich einen Überblick über regionale Spracheigenheiten und Thematisierungen, damit ein Gesamteindruck möglich ist.

4.5.1. Sächsisches Regionalbewußtsein durch die FP

Sächsisches Regionalbewußtsein vermittelt dei FP vor allem durch die Titelseite, die Seiten Sachsenreport, Wetter und Saxonia. Die Titelseite verweist auf lokale Themen - siehe dazu Kapitel 5.6.1. In einem Kasten "Auf einen Blick" wird auf besondere Artikel in der Ausgabe hingewiesen. Auch auf die Seiten Sachsen und Sachsenreport wird hier in hellblau schraffierten Überschriftenkästen häufig hingewiesen. Landespolitische Themen werden auf der Titelseite aufgegriffen. Schließlich findet sich in der rechten oberen Hälfte ein großes Bild (oft in Farbe) mit Überschrift und kurzem Text unter dem Bild. Dieses Bild hat Bezug zu Sachsen. Das Wort Sachsen befindet sich also täglich, zum Teil mehrfach, auf der Titelseite und damit auf der prägenden Seite der Zeitung. Sie gibt sich somit schon als sächsische Zeitung zu erkennen, jedenfalls in der Aufmachung.

Dei Seite Sachsen informiert nicht nur über Ereignisse im Bundesland und die Landespolitik. Regelmäßig werden anhand einer Karte, die ein Drittel der Seite umfaßt, Verkehrsbehinderungen im Bundesland angezeigt. Alle größeren Orte sind auf der Karte verzeichnet. Ein oder mehrere Bilder zeigen täglich die Attraktivität Sachsens: Landschaften, Bauwerke, Menschen, Städte Sachsens. Manchmal sind sie schmückendes Beiwerk zu Texten, teilweise sollen sie nur die schönen Seiten Sachsens verdeutlichen und damit Heimatverbundenheit, Regionalbewußtsein fördern.

Die nicht täglich erscheinende Seite Sachsenreport ziert ein kleines Landeswappen. Reportagen, gewürzt mit Landschaftsaufnahmen, vermitteln im allgemeinen ein positives Bild von Sachsen. Zum "Tag der Sachsen" wurde ein Emblem mit ebendiesem Schriftzug und der Umrisse Sachsens als Hintergrund entworfen. Dei Seite Kultur berichtet häufig über sächsische Kulturereignisse. Die Seite Sport bringt die Spiele des Chemnitzer FC als Aufmacher. Das Wetter, immer das untere Drittel der Seite Vermischtes hat neben einer Deutschland- und einer Europakarte auch eine, wenn auch deutlich kleinere, Sachsenkarte. Die Überschrift "Vorhersage für unser Gebiet" informiert über das Regionalwetter der jeweils kommenden Tage. In der Wochenendbeilage "Freie Presse zum Wochenende" gibt es die Seite Saxonia mit Regionalkulturellem und -geschichtlichem. Die Rubrik "Bei uns zu Hause" erzählt vom Brauchtum in den Landesteilen, Bilder auf der Seite unterstreichen die Schönheit des Bundeslandes. Die Seite Wochenendtips informiert vorab über Veranstaltungen der Region, auch hier gibt es schöne Bilder Sachsens.

Der Herausgeberverlag schaltet ab und zu Anzeigen für sein Bücherprogramm mit regionaler Literatur, vor allem über das Erzgebirge und das Vogtland. Angeboten wird ein Erzgegirgslexikon, ein Vogtlandlexikon, ein Regionalkochbuch, Bücher über historische regionale Schicksale und Haus- und Lesebücher in vogtländischer und erzgebirgischer Mundart (Dokument 1 im Anhang). Auch ein Spiel "Bei uns zu Hause" zur gleichnamigen Brauchtumsserie auf der Saxonia-Seite wird angeboten mit folgendem Text (z.B. 26. August): Dieses Spiel lädt zur Rätselreise durch den Freistaat Sachsen ein. Man lernt auf spielerische Weise die Heimat kemmen und entdeckt viele Besonderheiten des Sachsenlandes wieder. Wissenswertes über Städte, Landschaften, berühmte Personen, Mundart, Sprichwörter und, und, und... Eine Eigenwerbung zum Lückenfüllen der FP lautet: Freie Presse. Die Tageszeitung. Führend in Sachsen. (z.B. 26. August)

Auf der Kultur-Seite weist man mit Titelseitenbild auf Neuerscheinungen im eigenen Verlag hin (z.B. 21. Juli, Dokument 2 im Anhang). Eine Fernsehkritik vermittelt ein positives, aber allgemeines Heimatbild. In ihr (10. Januar) heißt es: Lieder der Heimat kommen aus dem Herzen ihrer Bewohner, weil sie Gefühle widerspiegeln. Wir wären töricht, diese (...) zu übersehen. Eine andere Fernsehkritik vermittelt positives Sachsengefühl und eine positive Haltung zu anderen Regionen. In diesem Mitarbeitertext vom 8. August wird begrüßt, daß der Sender RTL nach vier Jahren bayerischer Volksstücke jetzt Holsteiner Komödianten brachte. Die Kritik schließt wie folgt: Angesichts der großen Beliebtheit von Volksstücken und Schwänken stellt sich letztendlich die Frage, warum die Sendeanstalten nicht auch volkstümliches Theater aus anderen Regionen unseres Landes bringen. Denn diese Kunstgattung gibt es ja außer in Bayern und an der Küste auch im Schwabenland, in Hessen oder in Sachsen. Die berechtigte Kritik geht nicht auf regionale Varietäten ein, übersieht damit eine Erklärungsmöglichkeit. Die Varietäten Bayerns und der Küste sind interregional prestigereicher als die Varietäten der vom Kritiker genannten Regionen.

4.5.2. Sprachbewußtsein und Einstellungen zu nichtsächsischen Varietäten

Das Interesse an sprachlichen Fragen ist bei der FP-Redaktion nicht sehr ausgeprägt. Im Untersuchungszeitraum jedenfalls finden sich nur sehr wenige Artikel, die sich mit Sprache allgemein beschäftigen. Am 15. Februar wird auf der Kultur-Seite ein Buch rezensiert, das sich mit den Unterschieden der deutschen Sprache in Ost und West beschäftigt. Die gleiche Seite bringt am 11. August einen Beitrag über Wortschöpfungen des "DDR-Volksmundes". Am 30./31. Juli informiert ein Artikel auf der Ratgeber-Seite über die meistgesprochenen Fragen der Welt. In einer Fernsehkritik auf der Seite Fernsehen/Hörfunk vom 1. August heißt es über eine Sendung, man habe mit Anglismen um sich geworfen.

Im Untersuchungszeitraum ist keine negative Einstellung zu finden gegenüber nichtsächsischen Varietäten. Daß die Standardsprache im allgemeinen einer Wertschätzung unterliegt, verdeutlicht ein Hinweis auf die Sprache eines vogtländischen Diskjockeys. In der Reportage auf der Graffiti-Seite vom 19. August heißt es, man bringe die Dinge im feinsten Hochdeutsch an das Publikumsohr. Auf der Kaleidoskop-Seite darf in einer Anekdote um der Authentizität willen am 21. Januar berlinert und in einer Witzgeschichte vom 18. Februar bairisch geredet werden.

Die Seite Reisen und Touristik bringt Mundartliches, wenn über andere deutschsprachige Regionen berichtet wird. Am 20. Januar werden elsässische Gerichte erwähnt, weil sie amüsant sind: Ihre Gerichte haben originelle Namen (...) "Em Bauer sein Hut" (...) "Gefüllte Kuttle, Bäckeofa und Kotelets mit Großmutter seinem Unterrock". (Kursivtext ist immer Originalzitat, Anführungszeichen darin sind auch im Original). Eine Meldung am 19. August benutzt in Überschrift und Text das schwäbische Wort Viertele, im Text über die Region Hohenlohe/Neckartal ist auch vom "Wengert" die Rede, der aber in einer Klammer erklärt ist.

Fremde Dialekte auf den ersten Seiten sind selten, da es hier vornehmlich um Politik geht, also zumeist überregionale und formelle Themen zu lesen sind. Die Seite Hintergrund bringt am 24. Januar einen politischen Bericht, in dem der Ur-Bayer Michael Kolb wie folgt zitiert wird: "I bin aber für die Freiheit." Die Seite Vier berichtet am 16. Februar über eine Veranstaltung der CSU, bei der "Watschen" ausgeteilt wurden und man Brezn, Käs und Fischsemmel erhielt.

Die Sport-Seiten bringen hin und wieder mundartliche Zitate, besonders bayerischer Spitzensportler. Franz Beckenbauer wird am 15. Februar mit "Schau i denn so aus" zitiert. Der Journalist beendet seinen Artikel mit einer sprachlichen Verbeugung vor dem "Kaiser": Also: Schaun’ wir mal. Die Sonderseiten zu den Olympischen Winterspielen bringen ebenfalls Bairisches. Am 14. Februar darf der Rennrodler Hackl "Bin i froh, daß das so gut g’laufen ist" sagen. Über Markus Wasmeier ist am 18. Februar in einem dpa-Artikel zu lesen: Er mag "Stubenmusi" und das "Bier zur Brotzeit" (...) wurde einst durch seinen Dialekt berühmt.

Mehr deutsche Varietäten von außerhalb Sachsens weist der Kultur-Teil auf. In einem Bericht über die Operette "Wiener Blut" am 3. Januar taucht mehrfach das bairische "G’spusi" auf. Eine Unterüberschrift zu einer Chemnitzer Kunstausstellung mit Bildern aus Köln endet fastnachtsgerecht mit Kölle, alaaf! (27. Januar). Mehrere Titel in Kölner Mundart werden am 7. Februar in einem Bericht über die Rockgruppe "Bap" genannt. Aus einem in Bayern aufgeführten Theaterstück wird am 4. Juli zitiert: "Nudeln ham ma heit" und "a Musi". Um den "Bap"-Sänger Wolfgang Niedecken geht es in einem Bericht vom 7. Juli. Der nennt seine Kunstausstellung "Pissjääl und Kackbrung", was der FP-Mitarbeiter seinen sächsischen Lesern erklären muß. Um einen Pfälzer Poeten und seine Mundart geht es in einem Artikel am 9./10. Juli: Arno Reinfrank ist ein Pfälzer geblieben (...) Seinen Landsleuten aufs Maul geschaut, ihren Dialekt zu komischer Charakterisierung einer Mentalität genutzt, in der sich Provinz und Welt verknüpfen. Getreu der Devise, mit der er auch im eigenen Umgang sein unverfälschtes Pfälzisch spricht. "Pfälzisch is halt ää Weltschprooch".

Die Ratgeber-Seite ist eher ungeeignet, Fremddialektales zu benutzen. Vom "Schwammerl"-Sterben ist in einem Text vom 23. August die Rede, um das Wort Pilz einmal zu vermeiden. Am 26. August ist dann sogar von Schwammerlsucher(n) die Rede. Zahlreiche Pilzarten haben regional ganz unterschiedliche Namen, ein Artikel am 24. August listet einige nichtsächsische Bezeichnungen auf. Am 10. Februar ist in einer Überschrift der schwäbische Häuslebauer verwendet, dasselbe Wort taucht auch am gleichen Tag in einer Überschrift auf der Wirtschaft-Seite und in einem Artikel auf der Seite Sachsenreport am2./3. Juli auf. Da das Wort für den Duden nicht existiert, betrachte ich es als Dialektizismus.

Mundarten anderer Regionen gibt es hin und wieder auf der Seite Fernsehen/Hörfunk zu lesen. Mer losse d’r Dom in Kölle lautet die Überschrift und der Anfang eines Artikels am 10. Februar, die Unterüberschrift beginnt mit dem Hinweis auf Mundart und Veranstaltungsart: Kölscher Karneval (...) Einen Tag später geht es um die Mainzer Sitzungsfastnacht. Unerklärt bleibt der typische Spruch "Wolle mer ‘ne roilasse?" Zur RTL-Übertragung der Sitzung "Kölle alaaf" wird in einer Bildunterschrift der gleichen Ausgabe der Sitzungsname erwähnt und das Wort Jecken benutzt. Eben diese kommen wieder in einem Artikel am 14. Februar vor, der auf die Karnevalsumzüge hinweist. Dort ist auch die Rede davon, daß "Karamellche" geworfen werden. Um einen Bayer geht es in einer "Tele-Kritik" am 5. Juli: Er ist nett, macht Musik, kann und will den bayerischen Dialekt nicht ablegen (...) Werner Schmidbauer (...) der Neue von "Dingsda". Am 6./7. August wird themengemäß bairisches Vokabular verwendet: Peter Steiner (...) serviert bayerischen Grantlerhumor und krachlederne Kalauer.

Buntes aus aller Welt und anderen deutschsprachigen Regionen präsentiert die Seite Vermischtes. Wieverfasteloovend und Fasnet - Start der Tollen Tage lautet eine Überschrift am 11. Februar. Das erste Wort ist Kölsch und wird im Text mit (Weiberfastnacht) übersetzt, die Fasnet wird dem alemannischen Raum zugeordnet. Am 22. Februar ist in einer Überschrift vom "Morgestraich", im dazugehörigen Text von den "scheensch Dääg" die Rede. Die Redaktion muß die schweizerdeutschen Begriffe natürlich erklären. Einen Tag später ist in einer Unterüberschrift wieder von Jecken und im Artikel von "Printemännern und Bonneploeckern" die Rede.

Als Fazit kann man ziehen, daß fremde Mundarten ab und an verwendet werden, um kulturelle Dinge, insbesondere Fastnachtliches, mit den Begriffen zu beschreiben, die in der Ursprungsregion vorkommen. Die FP-Redaktion erweist sich als tolerant gegenüber fremden Dialekten und zitiert vereinzelt um der Authentizität und des Außergewöhnlichen willen. Besonders Bairisch und Kölsch ist zu finden, was zeigt, daß dort Wert auf regionale Varietäten gelegt wird und diese auch gegenüber den Medien benutzt werden. Das interregionale Prestige der beiden genannten Varietäten deutet sich hier an.

4.5.3. Sächsische Varietäten im Mantelteil

Hier soll nun untersucht werden, inwieweit in Sachsen vorkommende Varietäten auftauchen und wie sie bewertet werden. Kontakt mit noch existierenden Dialekten verschafft der Kultur-Teil. Am 6. Januar erscheint eine Rezension über einen Gedichtband Edmut Kluges mit der Überschrift Gedichte und Geschichten von "derham". Über den gebürtigen Ostpreußen ist zu erfahren: Elfjährig übersiedelte Edmut Kluge mit seiner Familie ins Erzgebirge. Erzgebirgischer Mentalität war er von Anfang an zugetan. Rasch machte er sich die Lebensgewohnheiten und nicht zuletzt die Mundart dort zu eigen, die er bald ebenso gut beherrschte wie "seine" Erzgebirgler, von denen er längst selbst einer geworden ist. Der Artikel deutet ein intraregionales Prestige und eine Vitalität de Erzgebirgischen an. Allerdings ist auch zu lesen, daß es nicht allzu viele Mundartautoren im Erzgebirge gibt, was dieser Annahme widersprechen könnte. Das sächsische Wort "Maulwurfshuggel" ist am 21. Juli zu lesen. Am 13./14. August ist das alte geflügelte Wort aus DDR-Zeiten "Ham wa nich" erwähnt, das auch in Sachsen so gelautet haben kann. Der erwähnte Mundartdichter Kluge rezensiert am 18. August ein Buch in erzgebirgischem Dialekt mit dem Titel "Derzöhl uns wos". Kluge lobt die Sprache des Mundartdichters: Sie stecke voller Leben, manches lasse sich sagen, was man auf Hochdeutsch gar nicht ausdrücken kann, wie der Autor in einer seiner Geschichten selbst schreibt. Dies ist indirekt wohl auch ein Lob des Erzgebirgischen. Eine Überschrift am 24. August enthält das sächsische Wort Würschtelbude, das ein Befragter äußert und auch im Text steht.

Die Sachsen-Seite bringt am 4. Januar die wohl sächsische Überschrift "Spülen mir’s weg!". Im Artikel ist das Zitat noch zweimal genannt, es stammt aus einer Büttenrede. Am 7. Februar ist ein Artikel mit der Überschrift "Meerane Helau" und "Arzgebirgs"-Fasching zu finden. Im Text ist von Klippelmadeln und Klippelmäd die Rede, ein Faschingsball mit dem Motto "Oh Arzgebirg, wie bis du schie" wird erwähnt. Um Volkslieder geht es in einem Bericht am 25. August. Ingrid Biedenkopf, Gattin des Ministerpräsidenten, so ist zu lesen, gebe ein Volksliederbuch heraus. Im Buch seien auch bekannte erzgebirgische und vogtländische Heimatlieder, sorbische Weisen und zwei Stücke in "purem" Sächsisch zu finden. Der Hinweis, es gebe Lieder in "purem" Sächsisch zeigt, daß dies nicht alltäglich ist. Das könnte ein Indiz für ein nicht sehr ausgeprägtes sprachliches Selbstbewußtsein sein.

Auf der Seite Sachsenreport findet sich am 15. Februar ein Interview mit dem Vorsitzenden des Verbandes Sächsischer Carneval. Jener wird als gebürtiger Oberlausitzer ohne rollendes "R" vorgestellt, was ein nicht wertender Hinweis auf eine lausitzische Spracheigentümlichkeit ist. Ohne genaue Verortung bleibt das Mundartwort Pachhütt, das am 1. Juli in der Unterüberschrift, im Text und in der Bildunterschrift vorkommt. Es wird aber mit Pechhütte erklärt. Um die sächsische Umgangssprache geht es in einem Artikel am 6. Juli. Der Mitarbeiter nennt unter anderem die (standardsprachlichen) Favoriten des Ministerpräsidenten für eine Sachsenhymne. Der Text schließt mit der Erinnerung an eine Bewertung des Sächsischen durch Kurt Biedenkopf: Beim Volk gibt es aber noch einen ganz anderen Favoriten. "Sing, mei Sachse, sing", heißt der Song und dürfte ob seines im Dialekt gehaltenen Textes für den eingeflogenen Ministerpräsidenten nicht singbar sein. Denn wie lautet der Ausspruch Biedenkopfs doch, für den er erstmals von seinen Sachsen ausgepfiffen wurde: "Die Sachsen können alles, nur kein Hochdeutsch." Das Auspfeifen und die Aussage, daß die Sachsen das sächsische Lied als Landeshymne favorisieren, weisen durchaus auf ein intraregionales Prestige hin. Die stigmatisierende Aussage Biedenkopfs hat die Sachsen wohl verletzt und auf das interregionale Stigma ihrer Varietät hingewiesen. Am 26. Juli findet sich in einem Bericht über Kinderstadtrundgänge in Dresden der Name eines Teilprogrammes, das einen sächsischen Namen trägt: "Zu Gast beim Geenisch". Über ein Bergwerk wird am 20./21. August berichtet. Darin wird hervorgehoben, daß man im Erzgebirgischen noch das Wort "Stolln" habe.

Auf der Titelseite der Wochenendbeilage vom 7. Januar erscheint eine Würdigung des erzgebirgischen Mundartsängers Anton Günther, der sich 1937 das Leben nahm. Der FP-Mitarbeiter , der den Artikel verfaßte, erinnert sich an Lieder in erzgebirgischer Mundart, die in seiner Kindheit gesungen wurden. Er zählt einige Lieder-Botschaften Günthers im Dialekt auf und zitiert eine ganze Liedstrophe. Günther habe beispielsweise folgenden Satz von sich gegeben: "Vergaß dei Haamit net! Su singt jeds Vögele". Der Autor kommt zu einem sehr positiven Schluß über Günther und dessen Dialektlieder. Ein Film, den der MDR über den Sänger drehte, solle helfen, Verschüttetes wieder zu entdecken, Identitäten zu finden im Liedgut, in der Landschaft, wie sie Anton Günther gesehen und empfunden hat. Dies ist eine Würdigung Günthers, aber auch des Erzgebirges und, wenn auch nicht ausgesprochen, seiner Mundart (Dokument 3 im Anhang). Ebenfalls in der Wochenendbeilage sind am 28. Januar sächsische Vokabeln zu lernen: "Hies’scher" oder "Uhies’scher" (was man wohl am besten mit "Zugezogener" übersetzen sollte).

Auf der zweiten Seite der Wochenendbeilage befindet sich die Seite Saxonia. Diese hat immer eine Brauchtumskolumne mit dem Titel "Bei uns zu Hause". Am 14. Januar geht es um den Begriff "hutzen". Der Autor, ein Mitarbeiter, weist nicht auf die Verbreitung des Ausdrucks hin, der sich auf die südlichen Gebirgslandschaften beschränkt. Dialektbegriffe, die zum großen Teil nicht erklärt werden, kommen oft vor, um den Ablauf des "Hutzenabends" (geselliger Plauderabend) zu verdeutlichen (Dokument 4 im Anhang). Am 21. Januar wird der Titel eines erzgebirgischen Mundartvolksliedes zitiert. Mundart kommt auch in der Kolumne vom 11. Februar vor, in der erklärt wird. welche Fastnachtsbräuche früher in den Dörfern des Gebirges üblich waren. Auch zwei mundartliche Weisen sind abgedruckt, die die von Haus zu Haus ziehenden Kinder damals vortrugen (Dokument 5 im Anhang).

Um das Lied "Dr Vugelbeerbaam" geht es in der Kolumne vom 1. Juli. Es wird als eines der populärsten Lieder in erzgebirgischer Mundart bezeichnet, daneben werden weitere dialektale Bezeichnungen von Dichtungen Max August Schreyers genannt. Die Kolumne vom 15. Juli bringt wieder Zitate in erzgebirgischer Mundart, da es um das "Steigerlied" geht, das im Erzgebirge seinen Ursprung hat. Am 12. August beinhaltet die Kolumne einen Mitarbeiterbericht über Goethes Besuch im Erzgebirge. Da geht es natürlich auch um die Mundart, zu der sich der Dichter äußerte: Goethe ist der Dialekt fremd, den sie sprechen. Doch bei genauem Hinhören erfaßt er den Sinn der Worte. "Jede Landschaft liebt ihren Dialekt", antwortet er Aurich, noch bevor dieser eine Erklärung zu der Mundart geben kann. Diese Textstelle kann durchaus als positive Bewertung auch des Autos gelten, sonst hätte er das nicht zitiert. Ein kurzes Dialektzitat ohne sprachliche Verortung findet sich in der Kolumne am 26. August.

Die Seite Wochenendtips hat manchmal die Rubrik "Zur Einkehr empfohlen". Am 15. Juli wirbt man für eine Schankstube in vogtländischem Stil, in der Wild- und Schwammegerichte angeboten werden - "Schwamme" sind Pilze. Die Seite Ratgeber stellt am 17./28. August das Gericht Vogtländischer Schwammetopf vor.

Zwei Leserbriefe, die am 19. Januar erscheinen, gehen auf den erzgebirgischen Sänger Günther ein. Einer erwähnt dessen "Feierohmdlied". Ein Leserbrief am 17. August weist auf die traditionsbewußten heimatverbundenen Erzgebirgler hin und zitiert den Sänger Günther mit dem Satz, der weiter oben zu lesen war.

Hier kann festgehalten werden, daß Sächsisch selten vorkommt, Erzgebirgisch hingegen des öfteren. Von der Bemerkung Biedenkopfs abgesehen, finden sich keine Bewertungen sächsischer Varietäten.

4.6. Der Lokalteil Plauen

4.6.1. Vogtlandbewußtsein und Einstellungen zu fremden Dialekten

Vogtländisches Regionalbewußtsein wird im wesentlichen inhaltlich geschaffen, so durch das häufige Vorkommen des Wortes "Vogtland" - in Texten wie in Überschriften. Eine Serie über die Geschichte des Vogtlandes unterstreicht das Regionalbewußtsein ebenso wie zahlreiche Artikel, was im nächsten Kapitel deutlich wird. Fremde Dialekte kommen naturgemäß im Lokalteil selten vor. Am 13. Januar werden Münchner Bauarbeiter in ihrem Heimatdialekt zitiert. Von "Spusis" ist in einem Fastnachtsbericht vom 7. Februar die Rede. Das schwäbische Häusle taucht am 23. Februar in einer Überschrift auf. Sächsisch ist am 23. August zu lesen. In einem Artikel über das Gastspiel des Leipziger Kabarettisten Jürgen Hart wird dieser neun Zeilen lang sächsisch zitiert.

Die zum Lokalteil gehörende Seite Blick nach Oberfranken enthält hin und wider fränkisch. Am 9. Februar ist ein "Vergelt’s Gott" zu lesen, am 4. August dürfen die Einwohner der Gemeinde Naila "Naala is schee" sagen. Ausführlich darf sich der Hofer Kulturreferent Peter Michael Tschoepe am 23. Februar zur Mundartförderung in seiner Stadt äußern. Daraus kann man wiederum schließen, daß auch die Plauener Lokalredaktion Mundartförderung positiv gegenübersteht. Am 2. Februar kommt das Wort "Bähnle" vor - was allerdings schwäbisch ist und nicht etwa fränkisch.

4.6.2. Vogtländisch im Lokalteil

Unter der Überschrift Vogtländisches Original engagiert sich berichtet der Lokalteil am 11. Januar über einen Musiker. Der Text über den heimatverbundenen Menschen endet mit einem mundartlichen Zitat von ihm: "Schee war’s, aber itze frei iech miech widder aff drhamm." In der Glossen-Kolumne "Euer Fips" erscheinen am 15./16. Januar zwei kurze mundartliche Zitate, um die Authentizität der erzählten Geschichte zu gewährleisten. Das Konzert der Volksmusiksängerin Stefanie Hertel, die aus dem vogtländischen Oelsnitz stammt, wird am 18. Januar positiv gewürdigt: Sie verbinde Professionalität mit vogtländischen Traditionen. Zitiert werden die Titel zweier Mundartlieder. Am 21. Januar wird wieder ein Dialektlied erwähnt. In einem Bericht über einen neugegründeten Heimatverein in Pausa heißt es, daß dieser vogtländisches Brauchtum pflegen wolle, darunter auch Mundartpflege (1. Februar). Am selben Tag geht es in einem anderen Artikel um eine Volkstheateraufführung. Der Autor habe jetzt freie Themenauswahl, nur beim Dialekt holpert es manchmal noch, bemerkt der Journalist. Daß der Dialekttheaterautor Schwiergkeiten mit der Mundart hat, könnte daran liegen, daß es nicht nötig ist, diese Varietät im Vogtland zu beherrschen.

Am 2. Februar sind wiederum zwei Hinweise auf die Existenz einer vogtländischen Mundart zu finden. In einem Artikel wird nur ein Dialektzitat gebraucht, im anderen wird ein Mundartstück, das Kinder vorführten, erwähnt. Am 3. Februar gibt es in einer Bildunterschrift über Jocketa das Mundartzitat "In Gocke do laafts", welches der Autor dann noch einmal als Schlußfeststellung in seinem Text einbaut. In der selben Ausgabe ist eine Folge der Reihe "Geschichte des Vogtlandes" zu finden, in der von unterschiedlichen vogtländischen Dialektgebieten die Rede ist. Diese Gebiete verrieten die Herkunft der einstigen Siedler.

Ein zweifacher Hinweis auf das Vogtländische ist am 8. Februar zu finden. In einem Fastnachtsbericht ist die Rede von Mundartliedern, in einem Beitrag über ein Heimatbuch wird ein Dialektsatz aus einer dort zu lesenden Mundartgeschichte zitiert, daneben werden zwei Dialektizismen gebraucht. Ein Artikel über die vogtländische Fastnachtstradition benutzt das Mundartwort "Fosent" in der Überschrift und zweimal, ebenfalls in Anführungszeichen, im Text (12./13. Februar). Am 15. Februar wird ein Gastspiel des Komikers Helge Schneider rezensiert. Dieser habe, so der Autor scherzhaft, dem Dialekt der Vogtländer seinen Respekt erwiesen, indem er sie wie folgt begrüßte: "Liebe Plaunerinnen und Plaunerer."

Eine Meldung am 21. Februar trägt die Überschrift Weil mer Vuogtlänner sei. Die Meldung beginnt fast genauso - dies ist der Titel einer Veranstaltung. Eine langweilige Meldung wird durch die dialektale Überschrift zum Blickfang. Auffällig ist dabei, daß die Überschrift weniger dialektal ist als der Textanfang, sie beginnt mit dem standardsprachlichen Wort Weil statt mit der hier korrekteren mundartlichen Version Wall. Möglich ist, daß der Redaktion der volldialektale Titel als zu unverständlich erschien.

Vogtländisch - wie das richtig geht ist ein Artikel am 23. Februar überschrieben. Es geht um die Mundartsprechergruppe Mißlareuth, die auf einer Veranstaltung dialektale Texte und Lieder zum besten gaben. Der Journalist meint folgendes: Wer bis gestern noch nicht wußte, wie man richtig vogtländisch spricht, der hatte spätestens nach dieser anderthalben Stunde eine gute Lektion in Richtung Heimatsprache erhalten. Ja selbst für das geübte Ohr war es aber nicht immer leicht, dem Text zu folgen. Diese Sätze verraten zwar Mundartkenntnisse des Autors, aber auch, daß wohl nicht alle Vogtländer den Dialekt beherrschen. Im Text folgt noch ein Dialektzitat.

Im Frühjahr begann die Lokalredaktion eine Mundartserie. Teil 5 erscheint am 1. Juli, Teil 6 am 9./10. Juli, Teil 7 am 3. August. Der Autor der Serie, ein Mitarbeiter, erklärt Redensarten und Bräuche des Vogtlandes. Die Artikel sind überschrieben mit mundartlichen Textzitaten, im Text selbst sind zahlreiche Dialektizismen und Dialektsätze zu finden. Dies zeigt, daß der Lokalredaktion die Mundart nicht gleichgültig ist. Teil 5 der Serie ist im Anhang als Dokument 6 vorhanden.

Am 2./3. Juli findet sich in einem Artikel über eine Gartenkantine das Motto eben dieser: "Und da ruck mer ehm einfach wing zamm". In einem Brief an die Redaktion moniert ein Leser, daß bei einer Veranstaltung die Vogtlandhymne "Plau’n bleibt Plau’n" vom Band kam (7. Juli). Dies ist im Untersuchungszeitraum der einzige Leserbrief im Lokalteil, der irgendetwas mit Mundart zu tun hat. Ein Artikel am 12. Juli, in dem es um Biergärten geht, bezeichnet einen Würstchenverkäufer als "Wärschtlema", der dementsprechend "Wärschtle" feilbietet.

Mundart-Maadle machen Musik lautet die Überschrift eines längeren Artikels am 11. August, dem ein Bild der Musiker in Trachten beigefügt ist. Über den Gründer dieser Mundartgruppe heißt es in dem Text der Redakteurin: Als Deutschlehrer sieht er im Dialekt die ursprüngliche Sprache, die des einfachen Menschen, in der sich der Schlüssel zum Herzen des Volkes offenbart. Weiter heißt es im Text zum Dialekt der Gruppe: Unterschieden wird im sächsischen Vogtland in sechs Mundartgebiete (Grammatikfehler im Original) Die Mißlareuther Gruppe spricht und pflegt das Kernvogtländische, das vor allem im Gebiet um Plauen zu hören ist. Dies klingt sehr seltsam. Die Redakteurin muß den Plauenern erklären, welche Mundart bei ihnen gesprochen wird. Auch das zu hören ist klingt nicht unbedingt nach einem sehr vitalen Dialekt. Möglich ist es, daß die Redakteurin eine Zugezogene ist, die ihr Nichtwissen auf die Leser übertragen hat. Im Text wird weiterhin berichtet, daß die Mundartpflege stagniert sei, nachdem der Lehrer seinen Vorruhestand angetreten habe. Doch in Mißlareuth hätten sich wieder begeisterte junge Leute gefunden. Eine 19jährige wird zitiert, daß sie es für wichtig halte, daß Traditionen überlebten. Über das Mädchen heißt es: Insgesamt sieben Jahre ist sie schon dabei und spricht vogtländisch mittlerweile genauso fließend wie hochdeutsch. Auch dies klingt nicht nach einem sehr vitalen Vogtländisch. Selbst wenn sie keine gebürtige Vogtländerin sein sollte, sieben Jahre in einer Mundartgruppe benötigend, um den lokalen Dialekt zu erlernen, ist wahrlich keine besondere Leistung. Das klingt, als ob sich außerhalb der Mundartgruppe niemand mit ihr vogtländisch unterhalte. Der Text selbst stellt Dialekt positiv dar, er beginnt auch mit einem dreizeiligen Mundartzitat (Dokument 7 im Anhang).

Die Mißlareuther Mundartgruppe wird am 13./14. August erneut erwähnt. Auf einem Foto ist der sächsische Ministerpräsident mit seiner Gattin zu sehen, die sich mit Blumen für einen Auftritt der Gruppe bedanken. Die Mundartgruppe spielt auch Theaterstücke. Am 16. August wird über einen Theaterabend berichtet, der ganze Besucherscharen angelockt habe - was auf eine hohe Akzeptanz von Dialektstücken verweist. Der Leiter der Spielschar darf sich im Artikel zur Einstudierung äußern: "Das Einstudieren in Mundart war ganz schön schwierig, weil es sich um neue Spieler handelt, die völlig verschiedene Berufe ausüben". Aus dieser Aussage schließe ich wiederum, daß die Mundart offenbar nicht mehr sehr verbreitet ist, jedenfalls nicht in allen Gesellschaftsschichten. Die Redakteurin feiert die Aufführung als ein Feuerwerk der vogtländischen Mundart, auch das Publikum hat das Stück offenbar für gut befunden Die Redakteurin registrierte: Bravorufe, stürmischer Applaus und Fußgestampfe. Begeisterung, weil eine untergehende Sprachform aufs Podest gehoben wird oder weil die Aufführung tatsächlich so gut war? Die Redakteurin meint letzteres. Der Artikel ist im Anhang als Dokument 8 zu finden.

Am 27./28. August wird der Ort Voigtsgrün bei seinem Dialektnamen genannt: "Fedschgri" heißt das Dorf in der Mundart. Über dem Logo einer Spendenaktion sind am 25. August die Namen der Initiatoren zu lesen: Freie Presse und "De Gockeschen". Bei letzteren handelt es sich um eine Volkskunstgruppe aus Jocketa. In der Kolumne "Euer Fips" vom 20./21. August ist ein Mundartzitat eines Rentners zu finden, seine weiteren zitierten Äußerungen sind aber in Standardsprache. Zeichen für den Rückgang des Vogtländischen oder Zugeständnis an Leser, die des Dialektes nicht mächtig sind?

Zweimal geht es am 30. August um Dialektkultur. Einmal wird über ein Konzert der Plauener Folkgruppe "Wurzelfolk" berichtet, die teilweise mundartlich singt, aber auch internationale Folklore im Repertoire hat. Die Mitarbeiterin, die den Text verfaßte, wertet den Auftritt offensichtlich ab, denn sie bezeichnet das Erlebte als das vogtländische Pendant des bayrischen Musikantenstadls. Drei Gäste werden mundartlich zitiert, die sich positiv über das Konzert äußerten. Andere, so die Journalistin, hätten das Lokal beizeiten verlassen, weil es ihnen im heimatlichen Dunst einfach zu stickig wurde. Die Autorin scheint sich also eher an Heimatverbundenheit als am Dialekt zu stören. Der andere Artikel in dieser Ausgabe handelt von einer Veranstaltung in Elsterberg, bei der unter anderem Mundartgedichte geboten wurden. Der Autor scheint allerdings heimatverbunden zu sein, denn er beschreibt die Mädchen in ihren Trachten in allen Einzelheiten und hält sie für fesch. Über die Veranstaltung hingegen ist in dem Artikel kaum etwas zu erfahren.

Lokaler Wortschatz, den ich nicht unbedingt als Dialekt bezeichnen möchte. findet sich am 26./27. Februar. Da ist von Tatrabahn oder "Bim" (Straßenbahn) die Rede, am 21. Juli wird das Wort "Nat-Nat" und am 3. Juli der Ausdruck "Naddel" (beides abgewandelte Freibadnamen) benutzt.

4.7. Anzeigen im Dialekt

Anzeigen mit Sächsisch oder Vogtländisch sind Mangelware im Untersuchungszeitraum . Immerhin wirbt die FP für ihre Kleinanzeigen einmal mit einem Landwirt, der sächsisch reden darf: De Fergel vom ledzdn Wurf habsch allesamd an een Gasdwird verkoofd. Mid nor brivadn Kleenanzeische in dor Freien Presse! Die Anzeige erschien am 13./14. August und ist im Anhang als Dokument 9 zu finden. Sächsisch ist vermutlich auch der Spruch Wir hams!, mit dem ein Polsterspezialist in einer ganzseitigen Anzeige am 26. Januar wirbt. Eine Lebensmittelkette bietet am 30./31. Juli sächsische Roster (Bratwürste) an.

Vogtländisch findet sich in dem Satz "In Gocke do laafts", der als Titel eines Kulturprogrammes für die Festwoche in Jocketa wirbt. Die Anzeige erscheint am 18. August, der Spruch ist nur mitten im Text versteckt zu lesen. Das vogtländische Wort Hutzenohmd ist in einer Anzeige am 15. Juli zu finden, am gleichen Tag wird zu einem Sommerfest eingeladen, dort ist regionale Umgangssprache zu finden: (...) und hoffen auf e’ Haufen Gäst’.

Gelegentlich ist auch Fremddialektales in Anzeigen zu finden. Am 7. Juli werden Thür. Rostbrät’l angeboten, am 27. Januar hat ein Supermarkt Fleischpflanzl im Angebot. Mit dem Beckenbauer-Spruch Schau mer mal wird am 23./24 Juli geworben. Eine österreichische Anzeige wirbt am 11. August mit dem Slogan Das Zuckerl für Aktiv-Urlauber.

4.8. Gibt es eine schriftliche Regionalsprache?

Es stellt sich die Frage, ob die Sprache einer Regionalzeitung regionale Züge trägt. Hier eignet sich eigentlich nur ein Blick auf den Wortschatz, denn der ist regional geprägt, im Gegensatz zum individuell geprägten Stil. Die Sprache der FP/PZ trägt kaum regionale Züge, der lingiuistische Laie kann keine regionale Zuordnung treffen.

Aus Eichhoffs Wortatlas der deutschen Umgangssprache habe ich für die Region Sachsen/Vogtland die Kennwörter Fleischer, Tischler, Sonnabend, Möhre, Porree, Junge, Reinemach(e)frau und Fastnacht/Fasching entnommen und geschaut, ob diese ohne Einschränkung in der FP/PZ verwendet werden. Angemerkt sei noch, daß für das angrenzende fränkische Sprachgebiet ganz andere Kennwörter gelten: Metzger, Schreiner, Samstag, gelbe Rübe, Porree/Lauch, Bub, Putzfrau und Fasching (vgl. Sprachkarten bei EICHHOFF 1977/78: 1, 18, 19, 20, 41, 43, 89, 91). Zumindest das Vogtland steht unter Einfluß dieser Varianten. In bezug auf das Vogtland und das Erzgebirge muß beim Wortpaar Samstag/Sonnabend noch angemerkt werden, daß standardsprachlich Sonnabend, mundartlich aber Samstag üblich ist (SEIBICKE 1972, 95).

Die Kennwörter für Sachsen werden in der FP/PZ vorzugsweise benutzt. Fleischer, Tischler und Sonnabend dominieren gegenüber Metzger, Schreiner und Samstag. Die Begriffe Möhre, Porree und Junge haben keine "Konkurrenten". Da die erwähnten Kennwörter teilweise im ganzen nördlichen Hälfte des deutschen Sprachgebietes verwendet werden, ist eine regionale Einordnung schwierig. Nur aufgrund der Tatsache, daß des öfteren auch die südlichen Varianten vorkommen, kann man schließen, daß die Zeitung in der Nähe des Übergangsgebietes auf der nördlichen Seite zu finden ist.

4.9. Fazit

Der Mantelteil enthält nur fünf Hinweise auf die Existenz des Sächsischen, dafür aber 15 Hinweise auf die Existenz anderer in Sachsen gesprochener Varietäten wie Erzgebirgisch oder Vogtländisch. Im Lokalteil sind immerhin 32 Hinweise auf die Existenz des Vogtländischen zu finden. Regionale Varietäten in Über- und Unterüberschriften kommen im Mantelteil sechsmal und im Lokalteil achtmal vor. Im Anzeigenteil waren je drei Anzeigen zu finden, die Sächsisch beziehungsweise Vogtländisch benutzen. Aus diesen Zahlen und den kaum vorhandenen Bewertungen kann weder intraregionales Prestige noch sprachliches Selbstbewußtsein geschlossen werden. Aber Hinweise auf ein intraregionales Stigma der in Sachsen gesprochenen Varietäten gibt es auch nicht, außer man wertet die Bemerkung des Ministerpräsidenten über das sprachliche "Können" der Sachsen als Stigmatisierung. Hinweise auf eine zurückgehende Vitalität des Vogtländischen konnten dagegen entdeckt werden.

Der Lokalteil fördert das Vogtländische durch eine Mundartserie, der Mantelteil das Sächsische nur durch ein Anzeigenzitat und das Erzgebirgische in einer Brauchtumskolumne. Andere Varietäten werden weder positiv noch negativ beurteilt, aber vereinzelt aufgegriffen. Sprachbewußtsein ist nicht sehr ausgeprägt, jedenfalls was den Mantelteil betrifft. Die Sprache der Zeitung ist nur durch den Linguisten verortbar. Regionalbewußtsein wird in beiden Zeitungsteilen großgeschrieben.


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