MATEO - Mannheimer Texte Online


1. Einleitung

1.1. Einführung

"...Doch niemand, mag er noch so ringn,

wird tausend Worte sächsisch bringn.

Wir ham schon manchen so erschreckt,

daß er wie tot zusammenbrach,

denn unsern schönen Dialekt -

den macht uns keiner nach!"

(zit. nach MÜLLER-THURAU 1991, 22)

Dieses satirische Gedicht des Sachsen Hans Reimann aus dem Jahr 1983 weist neben der Schwierigkeit, einen fremden Dialekt zu erlernen, und der Tatsache, daß Menschen Sprachstolz haben können, auch auf die negative Wirkung hin, die das Sächsische auf viele Nichtsachsen hat.

Auch heute werden Sprachen und Dialekte noch bewertet - vor allem, wenn es nicht die eigene Sprachform ist. Die einen gelten als angesehen, beliebt, prestigereich, wie das Bairische (Beweis folgt), andere, wie das Sächsische, sind eher stigmatisiert. Derartige Bewertungen eigener und fremder Dialekte können in Umfragen festgestellt werden. Eine andere Möglichkeit, Bewertungen zu erfahren, bieten regionale Tageszeitungen. Dort müßte deutlich werden, wie die Menschen ihren eigenen Dialekt ansehen und wie vital diese Sprachform in der Region noch ist. Möglich ist auch, daß hin und wieder fremde Dialekte bewertet werden. Es ist davon auszugehen, daß Dialekt und die Thematisierung des Dialekts am ehesten im Lokalteil einer Zeitung zu finden ist. Wichtigster Punkt dieser Arbeit soll sein, Unterschiede bezüglich Dialektverwendung und -bewertung in Zeitungen verschiedener Regionen harauszufinden. Daneben soll auch die Verwendung regionaler Formen der Standardsprache verglichen werden: Kann ein schriftsprachlicher Text anhand des Vokabulars einer bestimmten Region zugeordnet werden? Weiterhin soll festgestellt werden, ob regionale Umgangssprachen existieren. Zitate in Artikeln sollen als Beweise dienen. Auch Funktionen von Nonstandard-Verwendungen und dem Zusammenhang Regionalbewußtsein/Mundartförderung soll nachgegangen werden.

1.2. Aufbau der Arbeit

Eine Arbeit, die Texte auf Nonstandard hin untersucht, muß zu Beginn klären, was unter den Begriffen Standardsprache, Umgangssprache, Dialekt, Nonstandard zu verstehen ist, um diese im Text auffinden zu können. Es muß überlegt werden, wie das heutige Verhältnis der verschiedenen deutschen Sprachformen zueinander gesellschaftlich und regional aussieht. Sodann gilt es zu schauen, warum Sprach(form)en bewertet werden und wer welche wie bewertet. Die eigene Sprache/Sprachform wirkt identitätsstiftend, auch diesen Punkt gilt es zu beachten. Klargemacht werden muß auch der Zusammenhang von Dialekt und Heimatgefühl.

Im nächsten Schritt soll die Rolle der Tageszeitung in unserer Gesellschaft und die Bedeutung der Regionalzeitung in ihrem Verbreitungsgebiet betrachtet werden. Die Sprache der Zeitung, vor allem das Verhältnis Regionalblatt/Dialekt der Region steht am Ende des Theorieteils und leitet zur eigentlichen Untersuchung über. Die drei Regionen Sachsen/Vogtland, Pfalz, Oberbayern werden eingehender auf ihre regionale Identität und ihre regionale Sprachform hin angeschaut. Sodann wird analysiert, wie Regionalzeitungen mit der Thematik Mundart umgehen: Tauchen Dialektbewertungen auf, wie häufig kommt Mundartliches/Regionalsprachliches vor? Hat es sich die Redaktion zur Aufgabe gesetzt, die Mundart zu fördern?

1.3. Auswahl der Regionen und Zeitungen

Ausgesucht wurden drei Regionen: Oberbayern, die Pfalz und Sachsen/Vogtland. Oberbayern deshalb, weil Bairisch als prestigereicher Dialekt gilt und die Oberbayern als heimatverbundene Menschen. Als Gegenstück sollte Sachsen dienen. Zwar gelten auch die Sachsen als mit ihrem Bundesland sehr verbunden, doch ihre Varietät gilt als die stigmatisierteste in Deutschland. Da es in Sachsen großenteils nur noch die sächsische Umgangssprache gibt (fälschlicherweise wird das allgemein als Dialekt angesehen), wurde eine Zeitung ausgewählt, die zumindest im Lokalteil einem Dialektreliktgebiet angehört. Die "Freie Presse" erscheint in Chemnitz (Mantelteil), der Lokalteil ist aus dem vogtländischen Plauen. Hier wird es sehr interessant sein, die Unterschiede zwischen Mantel- und Lokalteil in bezug auf das Thema Dialekt zu betrachten.

Es wurde darauf geachtet, daß Mantelteil und Lokalteil nicht aus derselben (Groß-) Stadt stammen. Die Tegernseer Zeitung/Münchner Merkur kommt aus München (Mantel) bzw. Tegernsee, die Rheinpfalz/Bad Dürkheimer Zeitung kommt aus Ludwigshafen bzw. Bad Dürkheim, die Freie Presse/Plauener Zeitung aus Chemnitz bzw. Plauen. Die Lokalausgaben-Städte haben jeweils eine geringere Einwohnerzahl als die Mantel-Städte und sind keine direkten Nachbarorte, so daß ein großstädtischer Einfluß ausgeschlossen werden kann.

Zumindest bei der TZ ist es möglich, einen direkten Städtevergleich München/Tegernsee (Stadt/Land) zu ziehen, da auch in der Nebenausgabe Tegernsee täglich eine Seite Münchner Lokalteil zu finden ist. Die RP und die FP haben immerhin eine ausgeprägte Regionalberichterstattung im Mantelteil, die einen sprachlichen und gegebenenfalls sprachbewertenden Unterschied zum Lokalteil erkennen lassen könnte. Dies gilt sowohl für den redaktionellen Teil der Zeitung wie für den Anzeigenteil (soweit erkennbar ist, ob eine Anzeige lokal oder regional geschaltet ist).

In die Untersuchung konnte nur eingehen, was im Zeitungsarchiv gebunden war. Werbeprospekte, die am Erscheinungstag beilagen, fehlen in der gebundenen Ausgabe ebenso wie wöchentliche überregionale Fernsehzeitschriften. Unbeachtet blieb die Sparte Handelsregister, da es nicht vordringlich darum ging, Geschäfte mit einem Dialektnamen aufzuspüren.

Angeschaut werden jeweils vier komplette Monate: die Wintermonate Januar und Februar sowie die Sommermonate Juli und August. Damit wird berücksichtigt, daß zu verschiedenen Jahreszeiten unterschiedliche Feste und kulturelle Veranstaltungen in den Regionen stattfinden. Solche Veranstaltungen mit regionalem Charakter lassen auf einen verstärkten Zugriff der Journalisten auf regionalen und lokalen Wortschatz hoffen. Auch die Wahrscheinlichkeit, daß Dialektzitate bei Brauchtumsfesten auftauchen, wird als hoch eingeschätzt.

Ein ursprünglich geplanter Vergleich mit einer norddeutschen und schweizerischen Zeitung wurde wegen der Arbeitsbelastung verworfen. Auch ein Vergleich des Jahrgangs 1994 mit einem Jahrgang der fünfziger oder sechziger Jahre wäre sehr aufschlußreich gewesen, war im Rahmen einer Magisterarbeit aber unmöglich zu bewerkstelligen. Mit anderen Worten, das Thema bedarf intensiverer Betrachtung seitens der Wissenschaft.

1.4. Arbeitsthesen

These 1:

Ist bei der Zeitung Regionalbewußtsein großgeschrieben, wird sie sich auch der Förderung regionaler Sprachformen (Varietäten) und Begriffe (Varianten) annehmen. Diese Förderung vermute ich in Bayern am stärksten, weil die Bayern als sehr heimatverbunden gelten. Eine Förderung regionaler Varietäten durch Zeitungen wird dort stärker sein, wo die Varietät interregionales und intraregionales Prestige besitzt, die Sprecher sprachliches Selbstbewußtsein haben und der Dialekt noch vital ist.

These 2:

Hat die Redaktion Sprachbewußtsein, also Sensibilität für sprachliche Fragen, so wird sie auch häufig über sprachliche Themen berichten. Auch in der Region gesprochene Varietäten werden dann gewiß thematisiert.

These 3:

Das interregionale Prestige eines Dialektes oder einer regionalen Umgangssprache, also das Ansehen einer Sprachform außerhalb der Region, in der sie gesprochen wird, kann in Zeitungen deutlich werden: Beispielsweise durch zitierte Aussagen, redaktionelle Kommentare oder Artikel, die sich mit dem Thema beschäftigen.

These 4:

Das intraregionale Prestige einer Sprachform, also das Ansehen einer regionalen Varietät bei ihren Sprechern, kann ebenfalls in den regionalen Tageszeitungen deutlich werden: Durch die Integration regionalen Wortschatzes und das positive Darstellen der Varietät durch Kommentare oder die Tatsache, daß Mundartzitate zu finden sind.

Aufgrund der interregionalen Stigmatisierung des Sächsischen und Pfälzischen (Beweis folgt) sowie der kleinräumigen Begrenztheit des Vogtländischen erwarte ich vor allem bei der Zeitung aus dem bairischen Sprachraum Zeugnisse eines intraregionalen Prestiges.

These 5:

Im Lokalteil wird mehr Nonstandard zu finden sein als im Mantelteil, da die Themen weniger formell sind und nicht überörtlich verständlich sein müssen. Der Regionalteil dürfte dazwischen liegen.

These 6:

Das sprachliche Selbstbewußtsein der Sprecher einer regionalen Varietät wird direkt sichtbar an der Zahl der Nonstandardäußerungen in Zeitungsartikeln sowie an eventuell auftretenden Meinungsäußerungen. Rückschlüsse können vielleicht auch auf die Vitalität der regionalen Varietäten gezogen werden. Das größte sprachliche Selbstbewußtsein und die stärkste Vitalität erwarte ich für das Bairische, da den Sprechern wohl das interregionale Prestige ihrer Varietät bekannt ist.

These 7:

Die Sprache der Zeitungen läßt nur eine bedingte regionale Verortung erkennen. Am ehesten erwarte ich bei der Zeitung des bairischen Sprachraums, daß regionale Varianten in einer Häufigkeit benutzt werden, daß eine regionale Verortung möglich ist.

These 8:

Sofern neben dem Dialekt weitere regionale Varietäten existieren, ist das beispielsweise in authentischen Zitaten, vielleicht auch in lokalen Glossen, erkennbar. Diese Varietäten wären dann unterschiedliche Anpassungsgrade von Dialektsprechern an die Standardsprache.

These 9:

Als Gründe für die Verwendung von Nonstandard in Zeitungsartikeln vermute ich den Wunsch der Redaktionen, sprachliche Abwechslung zu bringen und eine Vertrautheit des Lesers mit seiner Zeitung zu bewirken. Zitate in Nonstandard sollen Authentizität vermitteln, den Redakteuren liegt vielleicht auch an einer Förderung der regionalen Varietät(en).

1.5. Forschungsstand

Linguistische Literatur zu dem Komplex "deutsches Sprachsystem" gibt es in großer Zahl, vor allem über das Thema Dialekt wurden viele Aufsätze, Monographien und Sammelbände veröffentlicht. Dies kann im Rahmen einer Magisterarbeit natürlich nicht alles berücksichtigt werden, es ist auch für die Themenstellung nicht notwendig, sämtliche existierenden Definitionen aufzulisten und zu bewerten. Nötig ist aber eine Differenzierung der Begriffe Standardsprache/regionale Varietäten/Dialekt, um die in den Zeitungen auftauchenden Sprachformen beurteilen und vergleichen zu können.

Als hilfreich für den theoretischen Teil erwiesen sich Reinert-Schneiders Monographie über Dialekt-Renaissance? im Raum Köln (1987), Eßers Werk über Dialekt und Identität (1983) sowie Schuppenhauer/Werlens Aufsatz im Dialektologie-Handbuch über die Domänenverteilung zwischen Dialekt und Standardsprache (1983). In bezug auf die Definition von Dialekt erwies sich Ammons Aufsatz im Sammelband Mattheiers von 1983 als impulsgebend. Hier werden zahlreiche Dialekt-Definitionen unter die Lupe genommen und verworfen. Auch Ammon gibt zu, daß die Definitionsfindung noch nicht abgeschlossen ist. Dem Thema Dialektverfallsprozesse hat sich Mattheier in seinem Buch Soziologie und Pragmatik der Dialekte (1980) angenommen.

Zur Bewertung von Dialekten wurde auf Hundts Untersuchung zu Einstellungen gegenüber dialektal gefärbter Standardsprache (1992) zurückgegriffen, in soziolektaler Hinsicht erweist sich Steinig (1976, 1980) als Kenner der Materie. Zur Thematik Sprach- beziehungweise Dialektbewertung besteht noch Forschungsbedarf, zahlreiche deutsche Sprachregionen sind in dieser Hinsicht noch weiße Flecken auf der Forschungslandkarte. Auch die Frage nach den Ursachen ist noch nicht hinreichend durch die Wissenschaft beantwortet worden, vor allem, warum manche Sprachformen so positiv (Bairisch) und andere so negativ (Sächsisch) beurteilt werden.

Fragen der Identität sind wissenschaftlich umstritten, intensiv beschäftigen sich deutsche Wissenschaftler damit nicht so sehr, dafür umso mehr mit dem Thema Heimat. Mit räumlicher Identität beschäftigen sich die Geographen, ein Aufsatz von Meier-Dallach (1980) erwies sich als fruchtbar für diese Arbeit. "Heimat"-Spezialist ist Bausinger, Aufsätze (1980, 1983) von ihm wurden zu Rate gezogen. Roth (1993) untersucht den Zusammenhang zwischen Heimat und Dialekt, auch andere Wissenschaftler widmen sich am Rande diesem Aspekt.

In dieser Magisterarbeit sind Zeitungen Untersuchungsgrundlage, daher ist das Medium Presse und seine Rolle in und für die Gesellschaft ein weiterer theoretischer Teil dieser Schrift. Zum Thema deutsche Massenmedien wurde das Buch von Meyn (1994) verwendet. Schütz (1994) veröffentlicht Presse-Statistiken, Jonscher (1991), Benzinger (1980) und Jarren (1985) sind Experten in Sachen Regional-/Lokalpresse, ihre Bücher waren hilfreich beim Kapitel über die regionale Tageszeitung. Meister (1984) erkennt, daß die Regionalzeitung regionales Bewußtsein konstituiert, den Menschen Identität vermittelt. Straßner (1983) ist der einzige, der sich mit dem Thema Presse und Dialekt auseinandersetzt, auch historisch. Allerdings untersucht auch er nicht die regionalen Unterschiede der Pressesprache beziehungsweise den regional verschiedenen Umgang der Zeitungen mit dem Dialekt. Hier besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf. Eine kleine Forschungslücke soll diese Arbeit schließen.

Herz forscht nach regelmäßigen Mundartkolumnen in schwäbischen Zeitungen (1983), ihren Autoren, Themen und Rezipienten. Reinert-Schneider (1987) erforschte Dialekt in Kölner Medien, darunter auch Mundartglossen in Zeitungen und ihre Rezipienten. Linguistische Untersuchungen gibt es über alle in dieser Arbeit vorkommenden Sprachformen, es existieren Wörterbücher und Grammatiken. Über die Sachsen und ihre Varietät erzählt der Psychologe Müller-Thurau in seinem heiteren Buch Die Sachsen kommen (1991). Für die Geschichte des Sächsischen wurde auf Beckers Monographie Sächsiche Mundartenkunde (1969) zurückgegriffen. Über das Sächsische gibt es sogar einen Polyglott Sprachführer (1992), der in amüsanter Weise über das Wesen und den Wortschatz des Sächsischen informiert.

Literatur über das Pfälzische gibt es ausreichend. Zurückgegriffen wurde auf Posts Pfälzisch (1992) und auf zahlreiche andere Texte, die etwas über die Bewertung des Pfälzischen aussagen. Bairisch ist auch in Sachen Vitalität untersucht, beispielsweise in dem Aufsatz von Rein/Scheffelmann-Mayer, Funktion und Motivation des Gebrauchs von Dialekt und Hochsprache im Bairischen (1975). Über das Bairische gibt es auch populär-begeisterte Bücher wie Bekhs Richtiges Bayerisch (1973). Ebenso existieren, wenn auch ältere, Untersuchungen über die Mundarten des Verbreitungsgebiets der hier verwendeten Regionalzeitung (Münchnerisch 1961, Südmittelbairisch 1965).

An der Universität Mannheim ist das Pfälzische Wörterbuch zu finden, aber es existieren keine vergleichbar ausführlichen Wörterbücher für die anderen in dieser Arbeit vorkommenden Mundarten. Da die genaue Bedeutung von Dialektizismen nicht für diese Arbeit nötig war, habe ich auf Übersetzungen verzichtet. Wichtig ist hier nur, daß der Status eines Wortes geklärt ist (Standard, Regionalstandard, Regionalismen, Dialekt). Diese Arbeit wurde im November 1995 abgeschlossen, demzufolge ist auch keine Literatur der Jahre 1996 und 1997 verwendet.


[ Nächstes Kapitel ] [ Zurück zum Inhaltsverzeichnis ]